„Die Verbundenheit der untersuchten jungen Menschen mit Österreich ist hoch, wobei sie mit der Aufenthaltsdauer steigt“, fassen die Autoren der Studie „Junge Menschen mit muslimischer Prägung in Wien“ ihre diesbezüglichen Befragungsergebnisse zusammen. Tschetschenen bilden hier jedoch offensichtlich eine Ausnahme.
Lange in Österreich, aber wenig verbunden
72 der 100 befragten Tschetschenen sind bereits länger als zehn Jahre in Österreich, elf von ihnen sogar schon seit Geburt. Damit liegen die Werte fast so hoch wie bei den Bosniern (84 seit mehr als zehn Jahren, 71 seit Geburt) und Türken (90 seit zehn Jahren, 41 seit Geburt). Und sie liegen höher als bei den Kurden (64 seit zehn Jahren, 27 seit Geburt) und insbesondere als bei den Syrern (11/4) und Afghanen (2/0).
Doch während sich nur 22 Prozent der Tschetschenen mit Österreich „sehr verbunden“ fühlen, trifft dies auf 41 Prozent der Türken und gar auf 90 Prozent der Bosnier zu. Selbst die überwiegend erst vor Kurzem ins Land gekommenen Afghanen und Syrer weisen mit 29 bzw. 23 Prozent hier höhere Werte auf. Nimmt man jene hinzu, die sich mit Österreich „ziemlich verbunden“ fühlen, so liegt die Gesamtzahl der Tschetschenen etwa auf dem Niveau der Afghanen und Syrer, ist jedoch von dem der Bosnier, Türken und auch der Kurden weit entfernt.
Tschetschenen mit Heimat stark verbunden, Kurden nicht
Auch die Gegenprobe fällt entsprechend aus: 38 Prozent der Tschetschenen fühlen sich mit ihrem Heimatland „sehr verbunden“ – der Spitzenwert vor den Syrern (33), Afghanen (30) und Türken (28). Hier sind die in ihrer Heimat häufig unterdrückten Kurden mit 20 Prozent das Schlusslicht.
Die Kurden fühlen sich daher auch mit 57 Prozent Österreich mehr verbunden als dem Herkunftsland, bei den Tschetschenen sind es nur 26, bei den Afghanen 25 und bei den Syrern gar nur 17 Prozent.
Der von den Studienautoren gezogene Schluss, die Aufenthaltsdauer beeinflusse das Zugehörigkeitsgefühl zu Österreich positiv, lässt sich also nicht erhärten. Sowohl die Tschetschenen (nach unten) als auch die Kurden (nach oben) sind statistische Ausreißer.
Bosnier und Kurden lehnen religiöse Staatsführung stark ab
Eher fündig wird man, wenn man die Religiosität der Befragten betrachtet. Denn die Aussagen „An der Spitze des Staates sollte ein religiöser Gelehrter stehen“ und „Ein Staat sollte nach religiösen Gesetzen organisiert sein“ werden am stärksten von den Bosniern mit 92 bzw. 89 Prozent vollständig abgelehnt, gefolgt von Kurden mit 64 bzw. 63 Prozent.
Weniger als die Hälfte der Tschetschenen klar gegen Gottesstaat
Die bereits sehr lange in Österreich aufhältigen Tschetschenen liegen hier sogar etwas schlechter als die erst kürzlich ins Land gekommenen Syrer. 47 Prozent der Tschetschenen (gegenüber 50 Prozent der Syrer) wollen sicher keinen religiösen Führer und 42 Prozent der Tschetschenen (gegenüber 46 Prozent der Syrer) wollen ganz sicher keinen Staat auf Basis religiöser Gesetze. Nur die Afghanen sind hier noch extremer.
Tschetschenen wurden religiöser, Kurden deutlich weniger religiös
Zusammenfassend scheint das Zugehörigkeitsgefühl zu Österreich also weniger stark von der Aufenthaltsdauer, als von der islamischen Religiosität geprägt zu sein. Besserung ist übrigens, was die Tschetschenen betrifft, nicht in Sicht. Sie sind die einzige Gruppe, bei denen diejenigen, die in den letzten drei Jahren religiöser geworden sind, mit 31 Prozent diejenigen überwiegen, die heute weniger religiös eingestellt sind (20 Prozent). Völlig gegenläufig der Trend bei den Kurden: Nur 4 Prozent wurden religiöser, 54 Prozent hingegen weniger religiös.