Wieder einmal vor einer Wahl muss sich die FPÖ mit einer Affäre um ein „Nazi-Liederbuch“ herumschlagen. So entnimmt man es den von der Kronen Zeitung angeführten etablierten Medien. Doch bei näherer Betrachtung hat das inkriminierte Machwerk weder mit der FPÖ etwas zu tun noch mit dem Nationalsozialismus. Unzensuriert konnte einen Blick in das Buch werfen.
Private Sammlung als Geschenk
„Liederliche Lieder“ heißt das Druckwerk, das der Mittelschülerverbindung „Corps Austria zu Knittelfeld“ vor 14 Jahren zu ihrem 125. Stiftungsfest geschenkt wurde – ein privater Verfasser verteilte es damals in einigen Dutzend Exemplaren an Mitglieder des Bundes. Das Corps Austria hat die Texte weder zusammengestellt noch die Bücher in Auftrag gegeben oder in Verkehr gebracht. Nicht einmal in ihrem Verbindungsheim fand sich eines der Werke, wie selbst von der Kronen Zeitung bestätigt wurde.
FPÖ-Abgeordneter als Mitglied
Doch darum ging es nicht: Die Mitgliedschaft des FPÖ-Nationalratsabgeordneten Wolfgang Zanger reichte aus, um daraus einen FPÖ-Nazi-Skandal zu konstruieren. Die mittlerweile im maßgeblichen Miteigentum des Sebastian-Kurz-Freundes Rene Benko stehende Krone spielte dabei jene Rolle, die ansonsten dem Wiener Lokalblatt Falter zukommt.
Die weiteren Eskalationsschritte von den üblichen schockierten Künstlern über eine Rücktrittsaufforderung des Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch, bis hin zum zeitlich optimal passenden Auftritt von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) in der ORF-Pressestunde wirken genau geplant.
Goethe eröffnet Sammlung schweinischer Texte
Eine Handvoll Faksimile aus dem 400 Seiten starken Werk sollen belegen, dass es sich eindeutig um ein „NS-Liederbuch“ handle. Tatsächlich ist das Buch voll mit schweinischen, ja, man könnte durchaus sagen perversen Texten. Vorangestellt ist ihm ein Johann Wolfgang von Goethe zugeschriebener Vers, der das Motto der Sammlung umschreibt:
Seid reinlich bei Tage und säuisch bei Nacht
So habt ihr’s im Leben am weitesten gebracht
“Nicht unbedingt für zart Besaitete”
In einem umfangreichen Vorwort räumt der Sammler der Texte ein, dass es sich dabei nicht gerade um „Weltliteratur“ handle, zeigt sich aber überzeugt, dass auch die von ihm zusammengetragenen Schmuddelreime zur „Volkskultur“ gehören.
Wenn auch so mancher die Nase rümpfen wird, ob dieser „Schweinereien“ und „Unflätigkeiten“, bedenk jedoch, geneigter Leser, es handelt sich bei den niedergeschriebenen Texten um uraltes Kulturgut. Sie sind nicht unbedingt für zart Besaitete, aber auch das gehört zum Leben und es ist sicherlich eine gehörige Portion Verständnis und Humor vonnöten.
Lieder auch auf Wikipedia beschrieben
Ein Humor, den man sicher nicht teilen muss, dessen Verteufelung als Nazi-Gedankengut allerdings eindeutig einen (partei-)politischen Zweck verfolgt und am Charakter der Textsammlung völlig vorbeigeht. Manche der schweinischen Lieder – zum Beispiel die „Wirtin an der Lahn“, von der sich hunderte Strophen in den „Liederlichen Liedern“ finden – werden sogar auf Wikipedia beschrieben, wobei es darin zu den „Zotenversen“ heißt:
Kennzeichnende Beispiele überlässt ein Lexikon besser der mündlichen Weitergabe. Besonders Männer, wenn sie unter sich waren (Militär, Studenten, Handwerker), wollten mit solcher vermeintlichen „Kühnheit“ gegen die sonst gebotene Prüderie aufbegehren. Seit der sexuellen Emanzipation des späten 20. Jahrhunderts besteht an solcher „Entlastung“ kaum noch Bedarf.
Auch deshalb bestand beim Corps Austria wohl kein Bedarf daran, die Lieder gemeinsam zu singen. Und so behielt sich mancher das Buch daheim, ohne es weiter zu beachten, ehe es – möglicherweise aus einem Nachlass – einer Redakteurin der Kronen Zeitung zugespielt worden sein dürfte.
Affäre zeigt politische Agenda der Kronen Zeitung
Der weitere Weg ist bekannt und sagt weit mehr über die politische Agenda der Krone und vieler anderer Medien aus als über das Liedgut der Studentenverbindungen oder gar der FPÖ.