Die Sicherheitsbehörden und ein Großteil der Medienlandschaft geben sich zufrieden. Die finale Aufarbeitung der Causa Natascha Kampusch scheint erledigt, und das zum stolzen Preis von mehr als 500.000 Euro. Der Endbericht der Evaluierungskommission zum Fall Kampusch lässt nach der offiziellen Lesart des Justiz- und Innenministeriums keine Fragen mehr offen. Einzeltätertheorie und Selbstmord des Täters Wolfgang Priklopil scheinen außer Zweifel zu stehen. Eine Verbindung zu einem Pornoring habe es ebenfalls nicht gegeben. Diesen drei Punkten hatte man sich laut Fahrplan der Kommission gewidmet. Doch diese “Wahrheit” ist eine “Tochter der Zeit”. Tatsächlich bleiben mehr Fragen offen, als beantwortet worden sind. Wolfgang Priklopil, Natascha Kampusch und das Beziehungsnetzwerk rund um die beiden zentralen Protagonisten sind nach wie vor in vielen Bereichen unausgeleuchtet.
“Systemerhalter” Anderl und Pilnacek waren Herren des Verfahrens
Als vor einem Dreivierteljahr diese neuerliche Evaluierungskommission eingesetzt worden war, wurde diese medial als “international” und unter der organisatorischen und inhaltlichen Leitung des deutschen Bundeskriminalamtes sowie des amerikanischen FBI verkauft. Tatsächlich lag sie in den Händen des ehemaligen Generaldirektors für die öffentliche Sicherheit, Herbert Anderl, sowie von Sektionschef Christian Pilnacek aus dem Justizministerium. Beide sind seit vielen Jahren “Systemerhalter” in der Polizei- und Justizarbeit. Als “Endredakteure” des Evaluierungsberichtes waren sie die “Herren des Verfahrens”. Bundeskriminalamt und FBI dienten vor allem als Tarnkappe, um Unabhängigkeit und Professionalität zu signalisieren. In Wahrheit waren die beigezogenen internationalen Experten jedoch davon abhängig, welche Daten und Fakten ihnen von den bereits bisher befassten Behörden “vorgekaut” übermittelt wurden.
Massive Ermittlungsfehler relativieren Kommissionsergebnis
Auch wenn die obersten Vertreter der Justiz und Polizei mit dem Brustton der Überzeugung Einzeltätertheorie und Selbstmord Priklopils als Endergebnis verkündeten, mussten trotzdem massive Ermittlungsfehler seit der Entführung von Kampusch zugegeben werden. Diese haben sich vom Zeitpunkt der Tat bis heute durchgezogen. Gleichzeitig soll die Evaluierungskommission nicht auf der Basis des Endstandes der Ergebnisse des parlamentarischen Kampusch-Unterausschusses gearbeitet haben.
Für die in der Causa Kampusch seit Jahren höchst engagierte FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch-Jenewein, Mitglied des Unterausschusses im Parlaments, bleiben Zweifel: “Durch den Bericht ergeben sich aktuell mehr neue Fragen, als beantwortet worden sind. Das könnte zu einem späteren Zeitpunkt wiederum zu einer Aufrollung dieses Falles führen. Es wurden ja auch andere Fälle, wie etwa Lucona, erst viele Jahre später und trotz großen Widerstandes in Justiz und Politik einer Klärung zugeführt.”
Weiterhin skeptisch geben sich die Österreicher zum Fall Kampusch. So gehen aktuell 54 Prozent von einer Mehrtätertheorie aus und ziehen damit das Ergebnis der Evaluierung in Zweifel.