In der österreichischen Innenpolitik erinnert man sich derzeit bei Auftritten von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) im Zusammenhang mit Tal Silberstein & Co gut 33 Jahre zurück und fühlt sich in die rote Polit-Affäre Günter Guillaume und den damaligen deutschen Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) versetzt. Doch es gibt einen Unterschied: Während den österreichischen Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzenden ein eigener Berater mit seinen Machenschaften ins Abseits drängt, brauchte es in der damaligen BRD einen Spitzenagenten der DDR.
Ein Bericht des deutschen Nachrichtenmagazins Der Spiegel aus dem Jahr 2009 erklärt die Affäre, die Willy Brandt zum Rücktritt als Bundeskanzler zwang, weil Guillaume ein Spitzel aus Ost-Berlin war:
In den fünfziger Jahren hatte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR den gelernten Fotografen als Mitarbeiter angeworben und systematisch zum Spion ausgebildet. Auch seine Frau Christel, die er 1951 heiratete, ist Agentin der Stasi-Hauptverwaltung Aufklärung (HVA). Dann bekommen die beiden einen besonderen Auftrag: Das Stasi-Pärchen soll sich im Westen unter den “Klassenfeind” mischen und im Verborgenen Informationen aus dem Innenleben der SPD sammeln. Als Flüchtlinge getarnt kommen die beiden 1956 aus der DDR in den Westen.
Guillaume macht sich an SPD-Chef Brandt heran
Nach jahrelangen Vorbereitungen als “Schläfer” macht Gulliaume den Marsch durch die SPD-Organisation um schlussendlich im Vorzimmer des deutschen Bundeskanzlers Brandt zu landen:
Das engagierte SPD-Mitglied Guillaume erklimmt nach und nach die parteiinterne Karriereleiter. 1970, kurz nachdem die sozialliberale Koalition die Macht in Bonn übernommen hat und SPD-Chef Willy Brandt Regierungschef geworden ist, wird Guillaume Referent im Bundeskanzleramt. Er ist ein Arbeitstier und Organisationstalent. Zwei Jahre später schon ist der eifrige Mitarbeiter persönlicher Referent und rechte Hand von Willy Brandt – und genau da, wo die Stasi ihn am liebsten haben wollte: im Zentrum der Macht. Gewissenhaft regelt Guillaume Parteitermine und den Schriftverkehr, hat dafür Zugang zu geheimen Akten und Gesprächsrunden. Und genauso sorgfältig wie er organisiert, kopiert er auch für seine Ost-Berliner Auftraggeber. Die sind begeistert, denn der gesamte Briefverkehr Willy Brandts geht durch seine Hände – alles, was von Bedeutung ist. Er hat sogar Einblick in das gelegentlich turbulente Privatleben des lebensfrohen Brandt – Guillaume ist für die Stasi wie ein Sechser im Lotto.
Spitzel Guillaume: Brandt kann es lange nicht glauben
Als der deutsche Verfassungschutz Guillaume enttarnt, kann das Brandt zuerst nicht glauben und zögert, zu handeln. Das erinnert an Christian Kern in Österreich:
Verfassungsschutz-Chef Günther Nollau informiert den damaligen Innenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP). Der gibt den Verdacht eilig an den Kanzler weiter – doch der ist unbeeindruckt. Solcherlei Vorwürfe gegen seine Mitarbeiter gibt es immer wieder. Brandt hält den Verdacht für unbegründet und Kumpeltyp Guillaume für loyal. Und Nollau will den Referenten sowieso vorerst in seiner Position belassen, denn gerichtsfest sind die Beweise für den unfassbaren Verdacht noch nicht.
Also versuchen die Verfassungsschützer, Guillaume zunächst in Sicherheit zu wiegen. Wie geplant, begleitet er den Bundeskanzler im Juli 1973 auf dessen Urlaubsreise nach Norwegen. Es ist eine angenehme Zeit in der nordischen Abgeschiedenheit. Beide Männer werden von ihren Familien begleitet. Guillaume ist so aufmerksam wie eh und je. Brandt fühlt sich sicher.
Erst fast ein Jahr nach den ersten Hinweisen schlägt die Spionageabwehr zu und verhaftet Guillaume. “Ich bin Bürger der DDR und ihr Offizier”, entgegnet der Top-Agent, als ihn seine Häscher schließlich stellen: “Respektieren Sie das!” Es ist ein weiterer Schnitzer: Der Stolz, mit dem Guillaume auf seine Enttarnung reagiert, wird ihm endgültig zum Verhängnis.