Der Fall Hossein K. offenbart einmal mehr, wie schwierig es ist, Fremde, die in Österreich um Schutz ansuchen, wieder loszuwerden. Wenn ein Fremder einmal zum Asylwerber geworden ist, kann er sämtliche Rechtsmittel ergreifen, um eine negative Entscheidung zu verhindern. Die vielen Rechtsmittel führen freilich auch dazu, dass die Justiz auf unterschiedlichsten Ebenen beschäftigt ist, was auch Zeit und Geld kostet. Unzensuriert liefert einen Überblick und zeigt auf, warum es notwendig ist, den Instanzenweg für Asylwerber radikal zu straffen.
Über 100.000 Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht zwischen 2014 und 2018
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ist die erste Behörde, die darüber entscheidet, ob ein Asylwerber tatsächlich auch asylberechtigt ist oder ob keine Schutzgründe vorliegen. Geht die Entscheidung zu Ungunsten des Asylwerbers aus, kann er Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht – der zweiten Instanz – einlegen. Dieses Gericht besteht seit 2014 und hat den Asylgerichtshof abgelöst. Das Bundesverwaltungsgericht hat alte Fälle vom Asylgerichtshof übernommen und zusätzlich neue Fälle erhalten. An das Bundesverwaltungsgericht herangetragene Beschwerden können vielfältig sein und werden nicht getrennt statistisch geführt.
Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide des BFA betreffend:
- Anträge auf internationalen Schutz (Asylanträge)
- Zuständigkeit Österreichs zur Führung des Asylverfahrens („Dublin-Verfahren“)
- Vergabe von Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen
- Entscheidungen über die Beendigung des Aufenthaltes Fremder in Österreich
- Organisation von deren Ausreise
- Verhängung der Schubhaft
Aus sehr vielen Gründen kann Beschwerde erhoben werden. Man kann sich daher ausmalen, dass das Bundesverwaltungsgericht eine Menge Arbeit hat. Konkret lassen sich die Daten der neu anhängigen Beschwerdeverfahren wie folgt darstellen:
2014: 8.100 (+ 11.800, die vom Asylgerichtshof übernommen wurden)
2015: 10.300
2016: 19.100
2017: 30.600
2018: 26.900
Seit Bestehen dieses Gerichts wurden somit 106.800 Beschwerden in Sachen Asyl eingereicht. 2019 nicht eingerechnet.
Wie viele Verfahren hat das Bundesverwaltungsgericht im selben Zeitraum abgeschlossen?
2014: gemäß dem Tätigkeitsbericht des Bundesverwaltungsgerichts 2014 wurden 56 Prozent der neu anhängig gewordenen Verfahren abgeschlossen.
2015: 10.900
2016: 12.200
2017: 16.600
2018: 20.300
Die Zahlen zeigen jedenfalls, dass zumindest 42.000 Verfahren abgeschlossen wurden. Nimmt man die Erwähnung über 2014, so kann man davon ausgehen, dass etwa 53.200 Verfahren abgeschlossen wurden, was aber auch heißt, dass es einen Rückstau von 53.600 Verfahren zum damaligen Zeitpunkt gegeben haben dürfte.
Etwa die Hälfte der Behördenentscheidungen werden bestätigt:
2014: Im Geschäftsjahr 2014 wurden (noch) keine derartigen Daten erhoben.
2015: 45,5 Prozent
2016: 51,7 Prozent
2017: 53,2 Prozent
2018: 50,6 Prozent
Das Bundesverwaltungsgericht gab keine genaue Auskunft, wie viel Geld diese ganzen Verfahren den Steuerzahler kosten. Asylbeschwerdeverfahren würden durchschnittlich knapp 1.800 Euro betragen. Es entstehen offenbar allein für Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht jährlich Kosten von mehreren Millionen Euro. Der Rechnung nach würden 100.000 Verfahren im Schnitt 180 Millionen Euro kosten.
Damit ist es aber noch nicht zu Ende
Gegen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts kann noch Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder eine Revision beziehungsweise, wenn diese nicht zulässig ist, eine außerordentliche Revision beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht werden. Auch diese Gerichte haben Tätigkeitsberichte.
Verfassungsgerichtshof
Im Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofs heißt es für das Jahr 2018: Insgesamt standen im Jahr 2018 in Asylrechtsangelegenheiten 3.082 neu anhängig gewordenen Verfahren sowie 640 Verfahren aus dem Vorjahr (insgesamt somit 3.722 Fällen) 2.830 abgeschlossenen Verfahren gegenüber.
Verwaltungsgerichtshof
Beim Verwaltungsgerichtshof wird im Tätigkeitsbericht für das Jahr 2018 erwähnt, dass es einen Anstieg der Verfahren in Asylangelegenheiten gegeben hat. Über 2.900 Verfahren sind neu angefallen, das ist gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung um circa 27 Prozent.
Im Bericht wird auch auf Personalmangel verwiesen:
Beim Verwaltungsgerichtshof wurde vom Budgetgesetzgeber erst ab 2018 eine – sehr moderate – Personalaufstockung im Ausmaß von einer Stelle einer Richterin oder eines Richters sowie zwei Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter vorgesehen; diese Personalaufstockung stand seit Jahresmitte 2018 zur Verfügung, ist aber bis Ende 2019 befristet. Auch wenn dies für den Verwaltungsgerichtshof eine wichtige Unterstützung bedeutet, bleibt diese Zusatzausstattung hinter dem in den letzten Jahren wiederholt geltend gemachten Bedarf (zwei Richterinnen- bzw. Richterstellen, vier Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter) zurück. Es ist derzeit aufgrund der Entwicklungen der Anfallszahlen auch nicht absehbar, ob mit der dem Verwaltungsgerichtshof zur Verfügung gestellten befristeten zusätzlichen Personalausstattung das Auslangen gefunden werden kann; angesichts der voraussichtlich länger dauernden Abarbeitung der anhängigen Verfahren in Asylangelegenheiten am Bundesverwaltungsgericht und der daraus resultierenden Befassung des Verwaltungsgerichtshofes im Rechtsmittelweg wird es voraussichtlich notwendig sein, die Befristung der Personalausstattung noch um zwei Jahre zu verlängern. Würde nämlich über einen längeren Zeitraum die Zahl der beim Verwaltungsgerichtshof neu anfallenden Geschäftsfälle jene der Erledigungen übersteigen, würde der Verwaltungsgerichtshof zum „Flaschenhals“ werden, was einen Anstieg der Rückstände und der Verfahrensdauer zur Folge hätte. Dies betrifft nicht nur Verfahren in Asylangelegenheiten, sondern auch andere Rechtsbereiche, da angesichts der vorhandenen Personalressourcen die Möglichkeiten von Umschichtungen begrenzt sind.
Historisches
Alles in allem sind sämtliche Gerichte mit Asylangelegenheiten konfrontiert. Das war nicht immer so. Bevor das Bundesverwaltungsgericht gegründet wurde, gab es den Asylgerichtshof. Und dieser war Letztinstanz für Entscheidungen der ersten Instanz. Seit Österreich gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention den Status von Flüchtlingen prüfen muss, gab es das Bundesasylamt, das mittlerweile Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) heißt. Gegen negative Bescheide konnte man eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof richten. Da über die Jahre viele Beschwerden beim Verwaltungsgerichtshof einlangten, wurde mit dem Unabhängigen Bundesasylsenat eine Einrichtung geschaffen, die den Verwaltungsgerichtshof entlasten soll. Auf den Unabhängigen Bundesasylsenat folgte der Asylgerichtshof, der letztendlich durch das Bundesverwaltungsgericht ersetzt wurde. Seither sind auch wieder Rechtswege zum Verwaltungsgerichtshof möglich und auch zum Verfassungsgerichtshof.