Kurz vor der Nationalratswahl wird wieder mit den Ängsten der Bevölkerung gespielt. Anders kann man den ÖVP-Vorschlag von Sebastian Kurz nicht interpretieren, wenn er postuliert, die Zahl der Medizin-Studienplätze von 1.700 auf 3.400 verdoppeln zu wollen. Dies sei auch laut der schwarzen Landeshauptfrau von Niederösterreich, Johanna Mikl-Leitner, notwendig, damit die Österreicher auch künftig medizinisch versorgt seien.
Und die ÖVP-nahe Ärztekammer unterstützt diesen Wahlkampf-Gag auch noch. Jährlich würden beinahe tausend Ärzte fehlen, um den Status quo aufrechtzuerhalten, so die Standesvertretung.
OECD-Spitzenfeld
Und der Status quo ist mehr als zufriedenstellend: Nur in Griechenland gibt es laut OECD mehr Ärzte pro tausend Einwohner als in Österreich. Doch letztere praktizieren in der Regel in Einzelpraxen, während anderswo ein bis drei Ärzte mit zusätzlichem medizinischen Personal zusammenarbeiten. Bei einem derartigen Versorgungsmodell auch in Österreich könnte die Kapazität deutlich erhöht werden.
Doch Kurz fordert in diesem Wahlkampf, die Studienplätze zu erhöhen, statt sich um die Reorganisation im Gesundheitswesen zu bemühen. Klar, das ist eindeutig einfacher als eine Strukturreform. Laut dem Rektor der Med-Uni Wien, Markus Müller, würden genügend Absolventen ausgebildet. Österreich liegt bei den Medizin-Absolventen sogar im Spitzenfeld der OECD-Staaten. Müller sagte schon 2017:
Wir haben kein Nachwuchs-Problem, wir haben ein Abwanderungsproblem.
Damit wäre auch schon eine weitere politische Dimension benannt. Medizin-Absolventen finden anderswo anscheinend bessere Arbeitsbedingungen. Laut Ärztekammer sind zudem 37,8 Prozent der Medizin-Absolventen nicht-ärztlich tätig.
Fehlende Pflegekräfte
Österreich hat also keinen Medizin-Absolventenmangel und braucht daher auch keine Verdoppelung der Ausbildungsplätze. Vielmehr hat Österreich einen Strukturmangel und einen Mangel an diplomierten Pflegekräften. Diese übernehmen in vielen Ländern nämlich medizinische Routinetätigkeiten, die in Österreich von Ärzten, noch dazu viel teurer, ausgeführt werden.
Um die medizinische Versorgung der Bevölkerung aufrechtzuerhalten, ist es mit flapsigen Antworten auf komplexe Fragen nicht getan. In seiner Amtszeit hatte Kurz von seiner jetzigen „Idee“ übrigens noch nichts gehalten. So sagte Anfang 2018 der ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann, dass eine weitere Schaffung von Medizin-Studienplätzen „derzeit nicht vorgesehen“ sei. Doch davon scheint Kurz im Wahlkampf nichts mehr wissen zu wollen.