Die Zeiten, in denen die Schüler noch Friedrich Schillers „Lied von der Glocke“ auswendig zu lernen und zu rezitieren hatten, sind ja endgültig vorbei. Doch nicht nur die langen Balladen, sondern auch kürzere Gedichte hat man längst vergessen – oder man kennt sie gar nicht.
Da kommt so ein Sammelband „Deutsche Gedichte“ wie gerufen, der auf 1471 Seiten (inkl. Anhang mit Quellenangaben, Inhalts-, Titel- und Autorenverzeichnis, Siglen und Abkürzungen) einen lyrischen Teppich mit mehr als 1200 Werken vom 9. bis ins 21. Jahrhundert legt. Der Bogen spannt sch von den Lyrikern der Staufischen Klassik über Humanisten und Reformatoren, Barockzeit, Weimarer Klassik, das 19. und 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Eingestreut sind auch Beispiele aus der anonymen Volksliteratur.
Die Dünndruck-Ausgabe zum Wiederlesen, zum Entdecken oder zum Rezitieren ist „nicht unter dem Aspekt der Dokumentation, sondern stets im Hinblick auf Einfallsreichtum und Innovationskraft der Verfasser sowe mit Blick auf ein breites Spektrum an Formen, Themen und Motiven, auf die politische Geschichte und die Alltagswelt“ zusammengestellt, vermerkt der Herausgeber im Nachwort. Und weiter: „Dennoch wird vermutlich jeder Leser das eine oder andere Gedicht, vielleicht sogar viele, vermissen. Das ist unvermeidlich.“
Wie recht er doch hat: Von Friedrich Schiller zum Beispiel wurden zwar „Die Kraniche des Ibycus“, „Der Taucher“ oder „Die Bürgschaft“ ausgewählt, nicht aber „Das Lied von der Glocke“. Man weiß also in diesem Falle nicht, wie viel es geschlagen hat…
Hans-Joachim Simm (Hrsg.): Deutsche Gedichte in einem Band, Insel Verlag, 1471 Seiten, 19,80 Euro.