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19. Juni 2010 / 13:45 Uhr

Hintergrund: Die Ursachen der Unruhen in Kirgisistan

Seit April kommt Kirgisistan nicht mehr aus den Schlagzeilen. Zuerst wurde Präsident Bakijew gestürzt, jetzt erschüttern bürgerkriegsähnliche Zustände den Süden des Landes um die Stadt Osch. Es soll bereits 2000 Tote geben; laut UNO sind 400.000 Menschen auf der Flucht. Bereits in der Vergangenheit kam es in der Region zu Auseinandersetzungen. Unzensuriert.at mit dem Hintergund der Spannungen in Zentralasien.

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Explosives religiöses und ethnisches Gemisch

Das Ferghanatal ist zwischen den drei Staaten Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan aufgeteilt und mit 20 Millionen Einwohnern auf einem Gebiet, das ca 300 Kilometer lang und 100 Kilometer breit ist, der am dichtesten besiedelte Raum Zentralasien. Neben Kirgisen, Tadschiken und Usbeken leben auch diverse andere asiatische Volksgruppen wie Tartaren, (meist muslimische) Chinesen, Uiguren und viele mehr in dem kleinen Gebiet.

Die drei Hauptbevölkerungsgruppen sind dazu in kultureller und religiöser Hinsicht sehr unterschiedlich: Die Kirgisen sind ein nomadisches Volk, das einen sehr volkstümlichen Islam praktiziert. Radikale islamische Bewegungen wie die Salafisten konnten innerhalb der kirgisischen Volksgruppe kaum Unterstützung gewinnen.

BildErst in jüngerer Zeit kam es zu einer vermehrten Zuwanderung von Kirgisen in die Städte Osch (rechts Foto eines Marktes) und Dschlalabad, die dort mehr und mehr die Usbeken verdrängten. Die Usbeken blicken im Gegensatz zu den Kirgisen auf eine lange städtische Kultur zurück. Die von ihnen bevölkerten Städte Zentralasiens waren bereits sehr früh Zentren islamischer Kultur und Religion. Islamistische Gruppen rekrutieren ihre Anhänger eher aus Usbeken und Tadschiken.

Die Tadschiken fühlen sich, anders als Kirgisen und Usbeken, die dem Türkischen verwandte Sprachen sprechen und als Turkvölker der Türkei nahe stehen, den Persern verbunden. Tadschikisch ist eng mit dem Persischen verwandt, die Tadschiken zählen zu den iranischen Völkern. Usbeken und Tadschiken bilden auch große Minderheiten in Afghanistan.

Willkürliche Grenzziehungen aus der Sowjetzeit

Die Grenzziehungen in Zentralasien wurden aus der Sowjetzeit übernommen, in der Grenzen eher aus verwaltungstechnischen und politischen Überlegungen heraus gezogen wurden, denn aus ethnischen. Ähnlich wie in Afrika und dem Nahen Osten ergeben sich damit größere ethnische Minderheiten in den einzelnen Nachfolgestaaten der UdSSR. Dennoch hat es bis heute kein zentralasiatischer Staatschef gewagt, diese Grenzen in Frage zu stellen. Auch der usbekische Herrscher Islam Karimow versucht zur Zeit nicht, den Usbeken in Kirgisistan zu Hilfe zu kommen oder territoriale Ansprüche zu stellen. Derartige Ansprüche kämen dem Öffnen der Büchse der Pandora gleich, immerhin müsste jedes Land – bedenkt man die große ethnische Durchmischung der Region – dann auch mit Begehrlichkeiten auf sein eigenes Territorium seitens seiner Nachbarstaaten rechnen.

Organisierte Kriminalität und sozialer Sprengstoff

Zu all diesen ethnischen und religiösen Problemen kommt auch der Einfluss krimineller Banden auf das Gebiet als Instabilitätsfaktor dazu. Durch das Ferghanatal führt eine der Hauptrouten des asiatischen Opiumschmuggels. Afghanisches Opium – Afghanistan ist mit weitem Abstand der größte Opiumproduzent der Welt – wird entweder über den Iran und die Türkei nach Europa oder über das Ferghanatal nach Zentralasien geschmuggelt. Neben Drogen werden auch Waffen aller Art aus den ehemaligen Waffenschmieden der Sowjetunion über das Tal nach Afghanistan und in andere Teile Zentralasiens eingeschleust. Oftmals ist die organisierte Kriminalität eng mit radikalen religiösen und politischen Gruppen verwoben. Die Islamische Bewegung Usbekistans IBU finanziert sich hauptsächlich über Heroinschmuggel.

Die demographische Struktur des Gebietes weist eine sehr junge, stetig wachsende Bevölkerung auf; soziale Perspektiven gibt es allerdings kaum. Vor allem unter der Jugend ist die Arbeitslosigkeit hoch – dies ergibt ein sehr gutes Rekrutierungsfeld für radikale Islamisten, aber auch kriminelle Banden.

Strategische Interessen der USA und Russlands

Für die USA ist das Gebiet als Nachschubweg für ihre Truppen in Afghanistan von zunehmender Bedeutung. Durch die Instabilität Pakistans sind die südlichen Nachschubwege über den Khyberpass einer ständigen Gefährdung ausgesetzt. Die nördliche Route über Tadschikistan und den Salangpass nach Kabul ist damit nicht nur als Transport-, sondern auch als möglicher Rückzugsweg strategisch wichtig.

Auch Russland ist in der Region präsent. In Tadschikistan sind die 201. Mot-Schützen-Division der russischen Armee sowie verschieden Grenzschutzeinheiten, insgesamt ca 25.000 Mann, stationiert, die das dortige Regime gegen islamistische und separatistische Bedrohungen schützen.

Ethnische und soziale Spannungen als Auslöser der momentanen Krise

Die Auslöser der derzeitigen Krisen dürften neben ethnischen vor allem soziale Konflikte sein. Anscheinend versucht die kirgisische Bevölkerung die Usbeken, die in den südlichen kirgisischen Städten bisher tonangebend waren, zu verdrängen. Interessant sind dabei auch die Haltungen Russlands und Usbekistans. Die Weigerung Russlands, Soldaten zur Stabilisierung der Lage zu entsenden, könnte mit dem NATO-Stützpunkt Manas im Norden Kirgisistans zusammenhängen. 2009 wollte die kirgisische Regierung den Stützpunkt schließen, Russland stellte dafür eine großzügige finanzielle Entschädigung in Aussicht. Der Stützpunkt blieb aber bestehen, nachdem auch die USA bereit waren ihren Pachtzins deutlich zu erhöhen. Immerhin hat Russland seine Truppenpräsenz in Kirgisistan erhöht. Außerdem sind die militärischen Möglichkeiten Russlands auf Grund der Kaukasuskonflikte und der militärischen Präsenz in Moldawien, Tadschikistan und dem Kaukasus begrenzt, vor allem da sich die Tragweite des Konfliktes im Moment nicht abschätzen lässt.

Möglicherweise könnte aber Kasachstan, das ethnisch nicht in den Konflikt involviert und auch historisch nicht vorbelastet ist, eine schlichtende Rolle übernehmen; Stabilität in dieser wichtigen Region liegt im Interesse aller zentralasiatischen Staaten.

Angesichts der unzähligen usbekischen Flüchtlinge überrascht auch die Haltung Usbekistans. Insbesondere jungen Männern wird der Grenzübertritt von Kirgisistan nach Usbekistan nicht gestattet. Die usbekische Regierung will möglicherweise das Einsickern islamistischer Gruppen auf diesem Weg unterbinden. Neben Tadschikistan und Kirgisistan war Usbekistan zu Beginn des Jahrtausends am stärksten von Angriffen radikalislamischer Gruppen betroffen. Deren Basis war das Ferghanatal. Außerdem könnten die Flüchtlinge das soziale Gleichgewicht Usbekistans empfindlich stören.

Zusätzlich könnten Anhänger des gestürzten Präsidenten Bakijew die Unruhen angeheizt haben. Die Bindung an Clans sollte in Zentralasien nicht unterschätzt werden. Auch der Bürgerkrieg in Tadschikistan während der 1990er Jahre war nicht nur ein religiöser und ethnischer Konflikt, sondern auch ein Kampf der verschiedenen Clans um die Vorherrschaft im Land.

Foto: Doron

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