Grabmale in der Gedenkstätte in Potocari bei Srebrenica.
Die ostbosnische Stadt Srebrenica, die Gedenkstätte und die ehemalige Batteriefabrik bei Potocari, die den niederländischen UNO-Soldaten als Hauptquartier diente, sind auch 15 Jahre nach dem Massaker Orte, die Unbehagen, Unverständnis und Zynismus wecken. Unbehagen fühlt man zwangsläufig an einem Ort, an dem der Zahn der Zeit die Erinnerungen an den Beginn des Massenmordes an etwa 8.000 Personen noch nicht verwischt hat.
p>Damit ist vor allem die Stadt selbst gemeint. Vor dem Bürgerkrieg stellten die Bosnjaken drei Viertel der knapp 40.000 Einwohner, nun leben etwa 15.000 Personen in der Stadt, und die Serben stellen mit 60 Prozent die Mehrheit. Trotz aller Versuche ist die Wirtschaft von Srebrenica schwach, die Arbeitslosigkeit ist hoch, wobei natürlich auch Srebrenica von Misswirtschaft und Korruption beim Wiederaufbau nicht verschont geblieben ist. Am schlimmsten ist langfristig jedoch der Zeitverlust: Aus einer Fischsuppe lässt sich kein Aquarium machen, weil Kriege Tatsachen schaffen. Das gilt nicht nur für Srebrenica und Bosnien, sondern auch für Serbien und den Kosovo. Im Falle Bosniens weigern sich Bosnjaken und Kroaten noch immer, eine Volkszählung durchzuführen; sie würde die Folgen von Vertreibung und verweigerter Rückkehr schonungslos offenlegen, ist jedoch für ein modernes Staatswesen unerlässlich. Die Fiktion der Bevölkerungsstruktur des Jahres 1991 lässt sich einfach nicht mehr aufrecht erhalten, soll der Staat den Weg Richtung EU gehen können.
Serben weigern sich, Massaker als Völkermord anzuerkennen
Unverständnis und Fassungslosigkeit weckt in Srebrenica das Massaker selbst: Wie ist es möglich, dass Menschen zu Massenmördern werden? Bei der Gedenkfeier am Sonntag wurden mehr als 770 identifizierte Opfer beigesetzt. Die beiden Jüngsten waren zum Zeitpunkt ihrer Ermordung 14 Jahre alt. Unverständnis weckt auch die Weigerung des serbischen Teilstaates in Bosnien, das Verbrechen als Völkermord anzuerkennen. Der Versuch einer entsprechenden Resolution schaffte es im Parlament in Banja Luka nicht einmal auf die Tagesordnung. Selbst wenn man berücksichtigt, dass im Oktober in Bosnien Parlamentswahlen stattfinden, und selbst wenn man die Angst der Republika Srpska in Rechnung stellt, als „Produkt des Genozids“ angeprangert zu werden, fragt man sich, wie angesichts einer derartigen Verweigerungshaltung Aussöhnung möglich sein soll.
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Bosnien und Herzegowina hat bis heute keine staatliche Identität entwickelt. Jede der drei Volksgruppen sieht nur ihre Opfer, vernachlässigt die der jeweiligen anderen. Die Vergangenheit dominiert nach wie vor die Politik; so wird das Ziel der EU-Mitgliedschaft kaum zu erreichen sein. Unverständnis wecken aber auch noch weitere zwei Tatsachen. Warum ist der mutmaßliche Organisator des Massenmordes, General Ratko Mladic, noch immer in Freiheit? In Srebrenica versprach Serbiens Präsident Boris Tadic, die Suche nach Mladic niemals aufzugeben, doch seine Verhaftung ist längst überfällig, weil er ein ganzes Volk in Geiselhaft hält. Ohne Mladic in Den Haag keine EU-Mitgliedschaft, das ist klar.
Völkermord vor den Augen des Westens – 2 Monate nach dem "Nie wieder!"
Unverständlich bleibt aber auch, dass das niederländische UNO-Bataillon auch jene Bosnjaken an Mladics Truppen auslieferte, die sich in das Camp in Potocari geflüchtet hatten. Diese Auslieferung und das gesamte Verhalten der UNO erwecken beinahe schon den Eindruck der Beihilfe zum Völkermord. Hinzu kommt noch, dass die Niederlande alle ihre UNO-Soldaten in Srebrenica ausgezeichnet, den Hinterbliebenen aber bisher jede Entschädigung verweigert haben.
Das führt zum letzten Eindruck – zum Zynismus. Am 8. Mai 1995 jährte sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 50. Mal. Liest man all die Reden der westlichen Politiker nach, die damals das „Nie wieder“ beschworen, ist Zynismus noch die harmloseste Gefühlsregung, angesichts der Tatsache, dass gerade ein Mal zwei Monate später unter den Augen von UNO und NATO Völkermord möglich war. Zynismus ist auch angebracht, wenn man derartige Gedenkfeiern und die Tätigkeit des Haager Tribunals mit der Realität vor Ort vergleicht. So zeigen seriöse Untersuchungen, dass etwa in Serbien das Unwissen über die Verbrechen der Zerfallskriege immer größer wird. Als vor zwei Jahren Radovan Karadzic in Belgrad verhaftet wurde, konnten zwei Drittel der Befragten nicht sagen, weswegen Karadzic überhaupt angeklagt ist.
Medien und Politiker leisten kaum Beiträge zur Aufarbeitung
Diese Unwissenheit ist sicher nicht nur auf Serbien beschränkt, in Serbien aber am besten dokumentiert. Die staatlichen Medien leisten keinen Beitrag zur Aufarbeitung der Vergangenheit, die Politiker nur in geringem Ausmaß, und neue Generationen wachsen heran, in deren Elternhäusern darüber natürlich nicht gesprochen wird. Aussöhnung setzt aber auch die Konfrontation mit der Kriegsvergangenheit und ihren Verbrechen voraus. Gedenkfeiern und Urteil des Haager Tribunals sind zu wenig, zumal das Tribunal als einseitig gesehen wird, und seine Urteile daher keine reinigende Wirkung haben. Für die dauerhafte Befriedung des Balkan ist eben mehr nötig als Sonntagsreden von Politikern, doch Unwissenheit im Westen und Desinteresse waren ja bereits mit ein Grund, der den blutigen Zerfall des alten Jugoslawien erst ermöglicht hat.
Foto: Mazbin