Wenn fast auf den Tag genau zwei Jahre nach Barack Obamas Wahlsieg bei den letzten Präsidentschaftswahlen in den USA die so genannten Midterm Elections (Wahl aller Sitze im Repräsentantenhaus und eines Drittels des Senats) anstehen, steht für den Präsidenten viel auf dem Spiel. Sollten die Demokraten die Mehrheit in einer der beiden Kammern verlieren, so würde das die Handlungsfähigkeit Obamas erheblich einschränken. Doch es sind weniger die etablierten Politiker der oppositionellen Republikaner als eine schwer fassbare Bewegung, die dem US-Präsidenten Kopfzerbrechen bereiten könnte: die Tea Party Bewegung.
In europäischen Medien wird die Bewegung gern verteufelt. „Rassisten und Religiöse Eiferer“ (Der Standard, Wien), „Programm? Fehlanzeige.“ (Der Spiegel, Hamburg), „Eigentlich lässt sich nur sagen: Die Tea Party ist dagegen.“ (Die Süddeutsche Zeitung, München) lauten die Beschreibungen. Ist die Tea Party wirklich nur eine Bewegung von frustrierten alten, weißen Amerikanern, angeführt von ehemaligen Hexen und Alkoholikern, die mit rechtsextremen Parolen gegen den ersten schwarzen Präsidenten der USA mobil machen, eine noch radikalere Variante der Neokonservativen und religiösen Rechten? Oder ist hier doch eine neue Bewegung entstanden, die sich gegen die herrschende Klasse in Washington zur Wehr setzt wie 1773 amerikanische Siedler gegen die britische Kolonialverwaltung in der namensgebenden „Boston Tea Party“?
Zwischen konservativen und libertären Wurzeln
Zwei republikanische Politiker sind die geistigen Ahnen der Bewegung: Barry Goldwater (Bild rechts), ehemaliger Senator Arizonas, und Ron Paul, Abgeordneter aus Texas. Sie repräsentieren auch die beiden Hauptströmungen der Tea Party Bewegung. Goldwater galt als Vorbild für Ronald Reagan und stand innerhalb der Republikaner für scharfen Antikommunismus sowie eine möglichst freie Wirtschaft. Generell lehnte er Eingriffe des Staates in die Gesellschaft weitgehend ab. In den 1990er Jahren wurde der konservative Goldwater zu einem scharfen Kritiker des Aufstiegs der religiösen Rechten innerhalb der Republikaner, da er befürchtete, diese könnten private Freiheitsrechte der Bürger beschneiden. Goldwater starb 1999.
Ron Paul wurde durch seine Kandidatur für das Präsidentenamt 2008 landesweit bekannt; damals scheiterte er in den internen Vorwahlen der Republikaner. Noch wesentlich stärker als Goldwater vertritt Paul libertäre Positionen. Paul (Bild links) ist ein Vertreter des „Konstitutionalsimus“, der besagt, dass staatliche Stellen nur die Aufgaben übernehmen dürften, die ihnen von der Verfassung ausdrücklich zugewiesen werden. Dies würde eine starke Beschneidung der Regierungsaktivitäten bedeuten. Dementsprechend lehnt Paul auch den unter der Bush-Administration eingeführten Patriot Act ab, der Regierungsstellen weitreichende Befugnisse in der Terrorismusbekämpfung gewährt. Auch in Fragen der Außenpolitik vertritt Paul eine gänzlich andere Linie als die Republikaner unter Bush. Er lehnte den Irakkrieg ab und vertritt eine nicht-interventionistische Außenpolitik. Generell steht er für maximale Deregulierung in den Bereichen der Wirtschafts- und Sozialpolitik.
Viel mehr privat, viel weniger Staat
So könnte man die Hauptmotive der verschiedenen Gruppen und Personen, die sich in der dezentralen Tea Party Bewegung zusammenfinden, kurz umschreiben. In die Wirtschaft, in die Bildung und in die Sozialpolitik soll sich der Staat nach ihren Vorstellungen am besten gar nicht einmischen. Dementsprechend werden alle Maßnahmen, die Obama aber auch schon sein Vorgänger Bush zur Unterstützung von Banken und anderen Unternehmen gesetzt haben, ebenso abgelehnt wie die Pläne für eine staatliche Krankenkasse oder staatliche Pensionssysteme. Ziele sind niedrigere Steuern, Reduzierung der Staatsschulden und Verkleinerung der Staatsausgaben allgemein sowie eine stark verkleinerte Verwaltung.
Der Steuerzahler-Marsch nach Washington im September 2009 war eine der bisher mächtigsten Kundgebungen der Tea Party Bewegung.
Andere Punkte, die von der Bewegung oder manchen ihrer Teile vertreten werden, sind ein liberales Waffenrecht, Kampf gegen illegale Einwanderung und striktere Immigrationsgesetze, Ablehnung des Kyoto-Protokolls und der entsprechenden Klimaschutzmaßnahmen, Auflösung der Federal Reserve Bank und des Bildungsministeriums, Wiedereinführung des Goldstandards sowie strikte Trennung von Staat und Kirche. Antidiskriminierung wird zwar begrüßt, staatliche Regelungen, die Private zur Gleichbehandlung zwingen, werden aber abgelehnt
Dezentrale Bewegung von unten
Die Tea Party Bewegung ist eine völlig dezentrale Bewegung, sie hat keinen Sprecher, keine Parteistrukturen, keine offiziellen Mitglieder und wird von verschiedenen Nichtregierungsorganisationen und Einzelpersonen getragen. Dementsprechend gibt es auch keine Parteilinie. Der „Vertrag von Amerika“, ein Zehn-Punkte-Programm, entspricht am ehesten einer Grundsatzerklärung. Mobilisiert werden Anhänger größtenteils über das Internet. Vertreter der Bewegung betonen, dass Geld hauptsächlich von Kleinspendern über das Internet akquiriert würde. Kritiker verweisen aber auch auf sehr potente Geldgeber wie die Milliardäre David und Charles Koch, die hinter der Tea Party Bewegung stehen würden.
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Erklärtes Ziel der Bewegung ist es aber, die republikanische Partei zu übernehmen und danach die Demokraten zu schlagen, um so ihre Anliegen durchzusetzen. Die Anhänger der Bewegung setzen sich zum Großteil aus der amerikanischen Mittelschicht zusammen und gehören somit hauptsächlich zum Bildungsbürgertum und den Leistungsträgern der Gesellschaft, ein oftmals übersehener Aspekt der Tea Party.
Gesichter und Akteure
Die sicherlich bekannteste Akteurin, die der Tea Party Bewegung nahe steht, ist Sarah Palin (Bild links), Vizepräsidentschaftskandidatin der letzten Wahlen und Gouverneurin von Alaska. Dass sie aber nicht immer mit der Bewegung auf einer Linie liegt, zeigten die republikanischen Vorwahlen in Kalifornien, wo sie nicht den Tea Party Kandidaten sondern eine Konkurrentin unterstütze und zum Sieg führte. Der Fernsehmoderator Glenn Beck ist der bekannteste Medienvertreter in der Nähe der Tea Party Bewegung und gilt manchen als ihre „Stimme“.
Als weiterer Unterstützer gilt der ehemalige Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, Dick Amery, der auch Vorsitzender der Bürgerbewegung „FreedomWorks“ ist; diese Bürgerbewegung unterstützt die Tea Party teilweise logistisch. Mit Newt Gingrich gilt auch ein weiterer ehemaliger Mehrheitsführer und Aushängeschild der konservativen Republikaner als Anhänger.
Die sicherlich umstrittenste Kandidatin der Tea Party Bewegung ist Christine O’Donnell, Bewerberin für das Senatorenamt von Delaware. O’Donnell tätigte als 27jährige verschiedene Aussagen für sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe und gegen Selbstbefriedigung, von denen sie sich inzwischen distanzierte. In Kentucky kandidiert Rand Paul, Sohn von Ron Paul, ebenfalls für den Sitz im Senat. Rand Paul, der ähnliche Ansichten wie sein Vater vertritt, repräsentiert damit eher den libertären Ansatz der Bewegung im Gegensatz zu O’Donnell, die sehr konservative Meinungen äußert.
Echte Chance für eine neue Zukunft der USA?
Die Zeit wird zeigen, ob die Tea Party Bewegung ihre hoch gesteckten Ziele erreichen kann oder ob ihre Repräsentanten im Washingtoner Politdschungel untergehen. Interessant an der Bewegung ist vor allem, dass sich in ihr erstmals eine Gruppe ohne große Lobby organisiert: die Mittelschicht der USA, die von politischen Ränkespielen der etablierten Politiker die Nase voll hat – möglicherweise auch ein Vorbild für Europa?
Fotos: Beachanchor / R. DeYoung / dbking / therealbs2022 (alle Wikimedia)