Der Kapfenberger SPÖ-Abgeordnete Erwin Spindelberger (55) gehört seit der Wahl am 24. November 2002 dem Nationalrat an. In dieser Funktion ist er neben seiner Tätigkeit als Regionalgeschäftsführer der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) zwar präsent, aber nicht besonders auffallend. Das ist wohl auch besser so, denn Spindelbergers berufliche Vergangenheit ist ein denkbar unpassendes Bewerbungsschreiben für die Volksvertretung. Der Mann hatte großen Anteil am Beinahe-Bankrott der steirischen Krankenkassa.
Auch die Wahlergebnisse in seinem Heimatort sind wenig berauschend. Bei der Gemeinderatswahl im März 2010 verlor er mit seiner Partei in der Industriemetropole Kapfenberg über 20 Prozent, bei der Landtagswahl im Herbst des Vorjahres immerhin über 10 Prozent.
In den Mittelpunkt der Öffentlichkeit gelangte Spindelberger zuletzt so richtig im Jahr 2002, wenige Monate vor Beginn seiner Abgeordnetentätigkeit. Zu diesem Zeitpunkt war er Obmann der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse (StGKK). Dort gab es einen Skandal, der wesentlich zur finanziell prekären Situation der Kasse beitrug.
Foto: Jacktd / Wikimedia
Im Jahr 1995 beauftragte die Verbandskonferenz des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger die Steiermärkische Gebietskrankenkasse mit der Erstellung eines fu?r alle neun Gebietskrankenkassen einheitlichen IT-Programms fu?r das Melde-, Versicherungs- und Beitragswesen (MVB). Dies stellte seit den 80er Jahren den zentralen Verwaltungsbereich der neun Gebietskrankenkassen dar. Weil aber zahlreiche Novellen zum Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz sowie technische Wartungen einen enormen Arbeitsaufwand auf den unterschiedlichen Systemen mit sich brachten, entschied man sich 1994 fu?r ein österreichweites Standardprodukt.
Projektkosten explodierten gleich mehrmals
Das Projekt hätte im Jahr 1998 fertig gestellt werden sollen, um die damit zusammenhängenden IT-Umstellungen in den alten Programmen zu vermeiden. Budgetiert wurden 2,33 Millionen Euro auf Basis einer Schätzung der StGKK u?ber einen vermutlichen Arbeitsaufwand von „wenigstens 800 Personenmonaten“. Doch dazu kam es nicht. 1997 wurde der Projektrahmen wegen verdreifachter Personalstundensätze auf 7,85 Millionen Euro erhöht, der Fertigstellungszeitpunkt jedoch mit Dezember 1998 beibehalten.
Weil der Projektleitung aber technische Probleme, inhaltliche Projektänderungen, zu geringe Personalressourcen und Managementfehler unterliefen, wie der Rechnungshof in einem Wahrnehmungsbericht feststellte, verzögerte sich die Entwicklung des MVB nochmals um vier Jahre. Im Juni 2002 betrug der Gesamtaufwand fu?r das Projekt bereits 14,71 Millionen Euro. Laut Gutachten des IT-Unternehmens Unisys vom April 2002 waren damals fu?r die Fertigstellung des Projekts noch 17.700 Personentage erforderlich, sodass eine Erhöhung der Gesamtkosten auf 22 Millionen Euro kalkuliert wurde.
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Der Rechnungshof ortete eine Fülle an wesentlichen Managementfehlern. Der Arbeitseinsatz des ersten Projektleiters betrug lediglich 25 Prozent, hätte aber 100 Prozent betragen müssen. Gravierend war vor allem die mangelnde Erhebung des Ist-Zustands, die eine gesicherte Aussage u?ber den Projektfortschritt unmöglich machte. Trotzdem wurden laufend Aufwandserhöhungen genehmigt. Arbeitspläne und ein angemessenes Projektcontrolling fehlten.
Spindelberger deckte verantwortlichen Direktor
Foto: Parlamentsdirektion / Mike Ranz
All diese Missstände bewegten die Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter (FSG) in einer internen Sitzung, den vermeintlich verantwortlichen Kassendirektor Herbert Gritzner außer Dienst zu stellen. Die weiteren Verantwortlichen sollten fristlos entlassen werden. Doch Obmann Erwin Spindelberger vollzog den Beschluss nicht. Manche vermuteten, dass Spindelberger sehr wohl über die Vorgänge informiert gewesen sei. Schließlich konnten dem Hauptverband als auch dem Lenkungsausschuss die ständigen Budgetaufstockungen nicht entgangen sein. Andere wiederum glaubten, Generaldirektor Herbert Gritzner habe die fehlerhaften Berichte sowie die zahlreichen Verzögerungen nicht an den damaligen Obmann weitergegeben. Aus diesem Grund sei das Projekt vier Mal teurer geworden als geplant. Der Fertigstellungstermin wurde von ursprünglich Dezember 1998 auf Dezember 2003 verschoben. Die Presseberichte zu der Affäre sind in einer parlamentarischen Anfrage der ÖVP an den damaligen Sozialminister Herbert Haupt dokumentiert.
Auch der Rechnungshof kam in einer vom ehemaligen FPÖ-Sozialminister Herbert Haupt angestrengten Einschau zum Ergebnis, dass jahrelang „die elementarsten Regeln eines funktionierenden, für das rechtzeitige Treffen richtiger Entscheidungen unumgängliche Berichtswesens außer acht gelassen wurden“, und weiter, dass „was den Informationsfluss bzw. das Berichtswesen anlangt, offenbar ein gestörtes Verhältnis zwischen Büro und Selbstverwaltung der Kasse“ vorliegt.
Direktor musste nach weiteren Skandalen gehen
StGKK-Direktor Herbert Gritzner nahm übrigens erst 2009 seinen Hut, nachdem noch zwei weitere Skandale aufgedeckt wurden. So wurde Gritzner 2005 noch mit angeblichen Schmiergeldzahlungen in Verbindung gebracht, und wenig später soll seine Lebensgefährtin über eine Privatfirma Aufträge von der GKK erhalten haben, obwohl sie selbst dort beschäftigt war. Gritzner wies alle Vorwürfe zurück, es gab keine strafrechtlichen Konsequenzen. Zum Zeitpunkt seines Abgangs musste die Kasse ein unglaubliches Defizit von 80 Millionen Euro ausweisen. Erwin Spindelberger setzte seine Polit-Karriere in der SPÖ fort, als wäre nichts geschehen. Umittelbar nach Bekanntwerden des sündteuren EDV-Projektes zog er in den Nationalrat ein.