Ägypten hat sich von seinem Diktator befreit – dies wurde von den westlichen Mächten bejubelt und begrüßt. Die Hoffnungen, eine Demokratie mit stetig wechselnder Spitze, die sich in die westliche Wirtschafts- und Bündnispolitik eingliedern würde, wurden offen verkündet und für fast schon erfüllt gesehen. Doch in der Realität sieht die Machtverteilung ganz anders aus: Das mehrheitlich muslimische Volk wird sich voraussichtlich zu einer entsprechenden Führung bekennen.
Foto: Sarah Carr / flickr / (cc by-nc-sa 2.0)
Die jüngsten politischen Entwicklungen lassen bereits vermuten, in welche Richtung der "Wandel" in Ägypten sich vollziehen wird. Eine der ersten Aktivitäten waren die Verschärfung der Israel-Politik – die pro-israelische Linie des Diktators Mubarak war unter dem Volk sehr unbeliebt – und die Entkriminalisierung der radikal-islamischen Moslem-Bruderschaft. Dr. Essam El-Erian, der unter dem Mubarak-Regime wegen dieser politischen Einstellung gefangen gehalten wurde und nun bei der kommenden Wahl antritt, versucht zunächst in einem Interview mit der Washington Post (das auch auf der englischsprachigen Website der Bruderschaft veröffentlicht wurde), die besorgten Amerikaner zu beschwichtigen.
Dort schätzt er die Wählerstimmen, die die Moslembruderschaft bei der nächsten Wahl erringen soll, auf 30 Prozent ein. Auch die USA und Israel greift er nicht direkt an – in seinen Worten schwingt jedoch eine gewisse Art von Selbstbewusstsein mit, wie sie unter anderem auch in der immer mehr islamisierten Türkei zu finden ist: "Wir sprechen nie über Amerika als Feind. Natürlich können sie eine Strategie haben, […] die Israel optimal unterstützt. Amerika muss die Gelegenheit ergreifen. Wenn ihr eure Strategie für diese Region nicht überdenkt und überarbeitet, dann verliert ihr die Region." Gegen Israel spricht er keine direkte Drohung aus, sagt jedoch voraus, dass der Staat sich durch seine Ideologie selbst zerstören werde. Ebenso bekennt er sich zur Scharia als Rechtsgrundlage.
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In der arabischen Version der Moslembruderschaftswebsite findet El-Erian jedoch unter der Überschrift "Wie wir diese und alle anderen Wahlen gewinnen werden" viel direktere, viel aktivistischere Worte: "Wir müssen die Stimme der Massen sprechen und ihre Herzen erreichen. Wir werden uns dabei modernster Methoden bedienen[…]. Und wir müssen die Menschen auf den Straßen und Märkten mobilisieren, damit sie zur Wahl gehen." Das Ziel ist klar: Die Bruderschaft möchte die gesamte islamische Bevölkerung an sich binden, um sich so in einer Alleinherrschaft über die Demokratie zu erheben. Und im gläubigen Volk werden sich für diese religiöse Idee genug Wähler überzeugen lassen.