Aus der Ferne betrachtet versprühten die Proteste gegen das amerikanische Finanzzentrum in der New Yorker Wall Street einen gewissen Charme. Kaum war die Bewegung "Occupy Wall Street" in Europa angekommen, verlor sie ihn auch schon wieder. Es waren die üblichen Verdächtigen, die durch die Metropolen Europas demonstrierten, die klassisch „antikaptialistischen“ Kräfte aus dem linksextremen Eck, deren Auftreten wie zumeist auch diesmal mit Gewalt einher ging. Besonders heftig fiel sie in Rom aus.
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Der Bürgermeister der italienischen Hauptstadt, Gianni Alemanno, fand nach den Verwüstungen denn auch deutliche Worte: „Der Abschaum Europas ist nach Rom gekommen“, stellte er fest, nachdem er die Zerstörungen in Augenschein genommen hatte. Siebzig Menschen – sowohl Polizisten als auch Demonstranten – wurden verletzt, zahlreiche Banken und andere Geschäfte zerstört oder angezündet. Die Behörden nahmen zwölf Verdächtige fest.
Nicht nur wegen der von ihnen ausgehenden Gewalt, auch auf Grund ihrer inhaltlichen Ausrichtung müssen die Demonstranten Kritik über sich ergehen lassen. Der DDR-Bürgerrechtler und gescheiterte Gegenkandidat von Christian Wulff bei den deutschen Bundespräsidentenwahlen, Joachim Gauck prognostizierte ein schnelles Verebben der Bewegung, der er „romantische Vorstellungen“ und „Irrtum“ attestierte. Die von den Protestlern beabsichtigte Antikapitalismus-Debatte hält Gauck für „unsäglich albern“.
Linkspartei will jeden Montag vor Banken demonstrieren
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Welche Richtung die Proteste nehmen, zeigte sich in Deutschland durch die Solidaritätsbekundung des Linksparte-Chefs Klaus Ernst, der in Anlehnung an die regierungskritischen Kundgebungen vor dem Zusammenbruch der DDR „regelmäßige Montagsdemonstrationen“ vor Banken forderte. Unterstützung kam auch von den Grünen und den Gewerkschaften.
Die zwischen Naivität und Zerstörungswut schwankenden Aktivisten kommen indessen auch den anderen Parteien und insbesondere jenen Politikern, die sich in Europa aktuell in Regierungsverantwortung befinden, nicht ungelegen. So lange die Protestbewegung gegen die folgenschwere Finanzpolitik der Mächtigen von derartigen Chaoten getragen wird, ist es leicht, sie als belanglos abzutun und damit auch die Sorgen der schweigenden Mehrheit unter den Teppich zu kehren. Nicht überraschend kommen daher die freundlichen Worte von der deutschen Regierungsbank. Finanzminister Schäuble (CDU) sagte er beobachte die Demonstrationen „"mit großer Aufmerksamkeit – ich nehme das sehr ernst". Auch Kanzlerin Merkel versteht das „berechtigte Gerechtigkeitsverlangen“ und hat „großes Verständnis“ für die Proteste
Wer als selbsternannter Widerstandskämpfer solche Freunde hat, muss wohl Teil des Systems sein.