Während die Wirtschaftskrise über die verschiedensten Staaten Europas hinwegrollt, befindet sich die deutsche Wirtschaft nach wie vor auf Erfolgskurs und erntet dafür international die verschiedensten Reaktionen. Von Lob über Kritik mangelnder Teamfähigkeit bis hin zu Neid ist alles dabei. Die amerikanische Wirtschaftszeitung The Economist analysierte die Aspekte, die der deutschen Wirtschaft der globalen Krise zum Trotz immer weiter zu Erfolg verhelfen.
Das deutsche Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist über die letzten zehn Jahre stärker gestiegen, als es in jedem anderen G7-Land der Fall war. Auch die Arbeitslosigkeit, besonders unter den Jugendlichen, spornt viele krisengeschüttelte europäische Länder dazu an, die deutsche Vorgehensweise als Vorbild zu nehmen.
Foto: Thiemo Schuff / wikimedia / (CC BY-SA 3.0)
Ein Faktor für diesen langfristigen Erfolg ist unter anderem die innerbetriebliche Ausbildung bzw. das System der Lehre, das auch in Österreich nach wie vor sehr erfolgreich angewandt wird. Selbst die amerikanische Zeitschrift, deren Heimatland noch eine wesentlich höherwertige universitäre Bildung anbieten kann, empfiehlt, den Fokus weg von der "Produktion von mehr und mehr Absolventen mit oft nutzlosen Abschlüssen" und hin zur praxisnahen Ausbildung zu legen. Auch die Liberalisierung des Arbeitsmarktes – weg von den sozialistischen Ideen und hin zu Möglichkeiten wie 1-Euro-Jobs, die die Arbeitslosigkeit in wenigen Jahren massiv senkten – wird als Beispielhaft gelobt. Die Politiker vieler Länder benutzen die deutsche Arbeitsmarktpolitik als erfolgsversprechende Schlagworte, um bei Wahlen zu punkten.
Doch natürlich muss vor allzu großem Enthusiasmus in Bezug auf die deutsche Einstellung ausdrücklich gewarnt werden: Abgesehen von der Tatsache, dass die Maßnahmen nur in Deutschland ihre volle Wirkung zu zeigen in der Lage seien, so der Economist, da die dortige Wirtschaft und Gesellschaft seit hunderten von Jahren ein eng geknüpftes und stark verwobenes Netz aus ihren Einzelkomponenten aufgebaut habe, brächte die Wirtschaftskraft auch Nachteile.
Hohe Exporte und niedrige Importe werden kritisiert
Weiters wird die Behauptung aufgestellt, der einzige Zweck starker Exporte, die in Deutschland den Hauptteil des Wirtschaftswachstums tragen, sollte es sein, für mehr Importe zahlen zu können (und sich somit stärker in die internationale Abhängigkeit zu begeben): Die "Fetischisierung des Exports", wie es Simon Tilfort vom Zentrum für europäische Reform nennt, verringere bei langsam steigenden Gehältern die Nachfrage nach Gütern aus anderen Ländern. Auch sollt das Wachstum genutzt werden, un die Einkommen der Arbeiter und somit auch deren Konsum zu erhöhen. Dass dieser seit Jahren eher langsam steigt, wird als nachteilig für die Lebensqualität empfunden. Weiters ziehe Deutschlands Sparsamkeit die anderen Länder der Eurozone, die mit den Sparpaketen nicht so gut zurechtkommen, in den Abgrund – die Schuld aller Probleme ist also in der deutschen Disziplin zu suchen.
Familienunternehmer widerspricht Schuldentheorie
Glücklicherweise vertreten die Firmen des deutschen Mittelstandes, der durch hochspezialisierte Nischenangebote das Rückgrat der deutschen Industrie bildet, eine Meinung, die der globalen Schuldenpolitik trotz aller moralischen Widrigkeiten entgegensteht und auf Nachhaltigkeit setzt. Auf die erstaunte Feststellung des global operierenden Consulting-Unternehmens Bain, dass eine schuldenfreie Strategie nicht der "effizienteste" Weg sei, ein Unternehmen zu führen und eine größere "Hebelkraft" zu Steuervorteilen führen könnte, antwortet Markus Miele vom gleichnamigen 113 Jahre alten Familienunternehmen gelassen. Der Punkt sei nicht, den kurzzeitigen Profit zu erhöhen, sondern darauf zu achten, "wo wir sein wollen, wenn wir der nächsten Generation Platz machen."
Aufschwung durch Spezialisierung
Diese konsequente und beständige Wirtschaftspolitik, die Deutschland, seine Unternehmen und seine Bürger seit hunderten von Jahren verwirklichen und zu einem hochspezialisierten und krisenfesten Standort machen, hat dem Land selbst nach dem vernichtenden Zweiten Weltkrieg einen Aufschwung beschert, mittels dessen es sich nun anschickt, bestimmende Kraft im ganzen kriselnden Europa – oder sogar der Weltwirtschaft? – zu werden. Eine kurze Abweichung von diesem Pfad – das Experiment der standadisierten Produktion, wie sie in Amerika üblich war – war einer der Gründe, zahlreiche unqualifizierte Gastarbeiter aus Ländern wie der Türkei anzuwerben, die sich später im Land ansiedelten und nun für die nicht nur demographischen Probleme verantwortlich sind.