Was hat die Öffnung des österreichischen Arbeitsmarktes für die Menschen aus Osteuropa bewirkt? Ob die 27.000 Arbeiter aus den EU-Ostländern, die laut offizieller Statistik seit 1. Mai 2011 nach Österreich kamen, viel oder wenig sind und ob sie vor allem im Baugewerbe für einen Verdrängungswettbewerb sorgen, darüber lässt sich auf politischer Ebene und bei Stammtischen gut streiten. Als gesichert dagegen gilt, dass dieser Zuzug von Arbeitskräften ein neues Phänomen mit fatalen Folgen schuf: Scheinselbständige, die als Lohnsklaven hauptsächlich im Baugewerbe auftauchen.
melden sich Bauarbeiter aus den neuen EU-Ostländern
als Scheinselbständige an.
Foto: debagel / flickr (CC BY-NC 2.0)
In Deutschland wurde die Situation bereits unüberschaubar. Alles begann mit der Erweiterung der EU Richtung Osten. Laut Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) gilt Frankfurt inzwischen als Hauptstadt einer regelrechten „Bulgarenindustrie“. Nach Schätzungen von Zoll und Steuerfahndung arbeiten derzeit rund 10.000 bis 17.000 Scheinselbständige in der hessischen Großstadt – die Dunkelziffer dürfte um einiges höher sein. Wie die FAZ weiter schreibt, klage der Zoll schon lange über eine „Bulgarenschwemme“ auf den Baustellen, die jene Unternehmen verdränge, die ihre Arbeiter versicherten und ordnungsgemäß Steuern entrichteten. Mit der Erweiterung der Europäischen Union habe man Tür und Tor für ein Missbrauchssystem geschaffen, das kaum mehr zu überblicken sei.
Gewerbeschein als Spachtler
In Österreich dürfen Arbeitskräfte aus Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Slowenien und Ungarn seit 1. Mai 2011 – wie fast alle EU-Bürger – jede beliebige Beschäftigung ausüben. Bulgaren und Rumänen wird dies ab 1. Jänner 2013 gestattet. Die Zahl der Scheinselbständigen könnte sich dann auch in Österreich drastisch erhöhen. Schon jetzt klagt die Wirtschaftskammer laut einem Bericht des ORF Salzburg, dass immer mehr Scheinselbständige hauptsächlich im Baugewerbe die Preise drücken und den Wettbewerb verzerren. Die Arbeiter würden meist aus den neuen EU-Staaten kommen. So hätten die Zollfahnder bei einem Flachgauer Bauunternehmer 17 polnische Arbeiter entdeckt, die alle einen Gewerbeschein als Spachtler besitzen. Firmensitz und Wohnadresse der 17 „Unternehmer“ seien aber identisch mit dem Firmensitz der Trockenbaufirma, für die sie arbeiten.
Pro Woche fünf neue Ein-Mann-Firmen
Diese neue Art der Beschäftigung kommt offenbar in Mode. Pro Woche melden fünf Ein-Mann-Firmen aus den neuen EU-Staaten bei der Salzburger Wirtschaftskammer ein Gewerbe an. „So sind in Salzburg polnische Arbeiter tätig, die früher Mitarbeiter waren und jetzt als selbständige Trockenausbauer tätig sind“, sagt Franz Hirnsperger, Gewerbe- und Handelsvertreter der Kammer, gegenüber dem ORF. Von den neuen Unternehmen seien sicher die Hälfte Scheinselbständige. Für die Baufirmen hat ein scheinselbständiger Arbeiter große Kostenvorteile: Für einen angestellten Arbeiter müssten sie gut 35 Euro pro Stunde verrechnen. Ein Scheinselbständiger arbeitet in den meisten Fällen um zehn Euro pro Stunde, wie die Erfahrungen von Behörden zeigen.
Wien ist da nicht anders. Hier hat die Zahl der Scheinselbständigen laut einem Bericht von ORF Wien eine Rekordhöhe erreicht. So würden immer mehr Firmen auf diese Billig-Arbeitskräfte zurückgreifen, die um die Hälfte des niedrigsten Lohns arbeiten. Sie treten als selbstständige Unternehmer auf, werden in Wahrheit aber von heimischen Baufirmen bezahlt, arbeiten zum halben Lohn und bezahlen keine Krankenkassenbeiträge. Auf der Strecke bleiben heimische Bauarbeiter, die für ihre Leistung einen gerechten Lohn fordern und – wenn sie ihn nicht bekommen – in die Arbeitslosigkeit gedrängt werden.