Weiterhin viele offene rechtliche Fragen bringt die von Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) präsentierte Neuregelung der Obsorge. Experten werten die neue Obsorgeregelung als klassische Kompromisslösung. Grundsätzlich soll die gemeinsame Obsorge der Regelfall sein. Entscheiden sollen dies aber letztlich die Gerichte. Nach einer strittigen Scheidung gibt es eine sogenannte „Übergangsphase“. In dieser legt das Gericht eine „vorläufige elterliche Verantwortung“ fest. Für beide Elternteile, unabhängig wo das Kind seinen Wohnort einnimmt, ist das Kontakthalten entscheidend. Nach dieser Phase entscheidet das Gericht unter Zugrundelegung des Verhaltens beider Elternteile über die Obsorge. Im Zentrum soll das Kindeswohl stehen. Bei Wohnsitzwechsel innerhalb Österreichs kann jener Elternteil, bei dem das Kind dauerhaft wohnhaft ist, entscheiden wo das Kind wohnt. Bei Auslandsumzügen muss der andere Elternteil grundsätzlich zustimmen.
FPÖ wartet auf tatsächliche Realisierung der Reform
Die große Oppositionspartei FPÖ wartet auf die tatsächliche Realisierung der Reform und möchte sich auch die tatsächliche Praxis des neuen Obsorgemodells nach Einführung ansehen, bevor man eine endgültige Beurteilung abgibt. Im Gesamttenor sind Justizsprecher Peter Fichtenbauer und Familiensprecherin Anneliese Kitzmüller im Bezug auf die Realisierung der gemeinsamen Obsorge dennoch vorsichtig optimistisch:
Im Bereich der gemeinsamen Obsorge ist die Bundesregierung hoffentlich nicht auf halbem Wege stehen geblieben. Die FPÖ wird das Familienrechtspaket mit kritischer Erwartungshaltung überprüfen. Die schon längst europarechtlich vollzogene Erkenntnis des Rechtes des Kindes auf beide Elternteile muss der Primat des Zuganges zum Obsorgerecht sein.
Vätervertreter kritisieren Aufblähung der „Trennungsindustrie“
Österreichs Vätervertreter stehen der Reform der Obsorge zurückhaltend gegenüber. Kritisiert wird vor allem, dass die gemeinsame Obsorge letztendlich eine Einzelfallentscheidung der Gerichte bleibe. Die neu eingerichteten „Besuchsvermittler“ und die Familiengerichtshilfe würden das Verfahren kaum beschleunigen, eher werde es weiter aufgebläht. Insgesamt kritisiert etwa der Verein Väter ohne Rechte die verfahrensmäßige Ausweitung von beteiligten Einrichtungen als „Aufblähung der Trennungsindustrie“.