Zehn Monate banges Warten für die drei angeblichen „Folterpolizisten“ hatten ein Ende, wenn auch kein glückliches: Der Wiederaufnahmeantrag der Ex-Beamten, in dem sie ihre Unschuld und die Gründe für das damalige falsche Geständnis beweisen wollten, wurde vom Straflandesgericht Wien vor zwei Wochen abgelehnt. Laut ihrer Anwältin Maria Zehetbauer, die das Verfahren wegen Befangenheit überhaupt lieber in ein anderes Bundesland verlagert gesehen hätte, völlig zu Unrecht.
In nur 14 Tagen musste Zehetbauer nun eine 34 Seiten lange Beschwerde formulieren, die Unzensuriert.at exklusiv im vollen Wortlaut vorliegt. Kern der Beschwerde: Unrichtige rechtliche Beurteilung sowie Vorliegen von Verfahrensmängeln aufgrund unbegründeten Übergehens von Beweisanträgen durch das Gericht.
Viel Juristendeutsch, wenig Fakten
Laut Gerichte sei es nämlich „den Wiederaufnahmewerbern nicht gelungen, neue Tatsachen oder Beweismittel beizubringen, die alleine oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen geeignet erscheinen, eine Freisprechung oder die Verurteilung wegen einer unter ein milderes Strafgesetz fallenden Handlung zu begründen“. Auch eine falsche Beweisaussage des angeblichen Folteropfers Bakary J. hätte durch die Wiederaufnahmewerber „nicht dargetan“ werden können. Zumindest das Juristendeutsch klingt einwandfrei.
„Tatsachen oder Beweismittel in einem Fall sind neu, wenn sie in der Hauptverhandlung nicht vorgekommen sind und somit auch bei der Urteilsfindung nicht berücksichtigt werden konnten“, so Zehetbauer. Und genau das sei der Fall: Man habe dem Gericht drei neue, aktuelle Gutachten bzw. Stellungnahmen renommierter Mediziner vorgelegt (Namen der Redaktion bekannt), die das Erstgericht im Jahr 2006 nicht kennen konnte. Darin werden „Inkonsistenzen“ sowie „mangelnde Schlüssigkeit“ in jenem Gutachten festgestellt, das seinerzeit zur Verurteilung der drei Polizisten geführt hatte. Es geht darin nicht zuletzt um die Art der Verletzungen, die nicht zu den Ursachen passt, die das angebliche Opfer angegeben hatte.
Verletzungen passen nicht zu „Folter“
Im Detail wird in den neuen Gutachten vor allem nachgewiesen, dass das am 11. Mai 2006 bei Bakary J. festgestellte „komplexe Bruchsystem“ im Bereich „der oberen, rechten Gesichtshälfte, des Stirnbeines der Augenhöhle und des rechten Jochbeines“ am 7. April, als die Beamten den Gambier angeblich in einer Lagerhalle folterten, gar nicht entstanden sein könne. Dies decke sich auch mit der Erstuntersuchung des 42-jährigen im Wiener AKH, bei der keinerlei sichtbare Gesichtsverletzungen festgestellt wurden.
Es deckt sich auch mit den Angaben zweier Polizeiamtsärzte, die J. am 7. April ebenfalls untersucht und lediglich eine leichte Schwellung über dem rechten Auge diagnostiziert hatten, die keinerlei besonderer Behandlung bedürfe. Die beiden konnten sich auch nicht vorstellen, wie diese leichte Schwellung im Zuge der nächsten Tage so massiv verstärkt worden sei, wie es auf dem am 11. April veröffentlichten, unscharfen Foto zu sehen war, das Amnesty International um die Welt schickte und eine regelrechte Medien-Hysterie auslöste. „Laut den aktuellen Gutachten entstehen Schwellungen und Blutergüsse, wie sie Bakary J. aufwies, während der ersten 24, maximal 48 Stunden nach der Gewalteinwirkung und sind auch gleich sichtbar, wie man bei Boxkämpfen regelmäßig beobachten kann“, erklärt Zehetbauer.
Angebliches Opfer wurde selbst rabiat
Wie die beteiligten Beamten beteuern, sei der Gambier nach seiner verhinderten Abschiebung im Auto rabiat geworden, weil man ihn nicht nach Hause, sondern zurück in die Schubhaft fahren wollte. Im Sinne der Eigensicherung und der Verkehrssicherheit hätten die drei unbewaffneten Polizisten, die kurz zuvor noch im startbereiten Flugzeug nach Gambia saßen, ein naheliegendes Ziel anfahren müssen, um den Tobenden, der mit Randalieren auch seine Mitnahme im Flugzeug verhinderte, zu fesseln. Im Zuge der Rangelei sei der Afrikaner einmal zu Boden gedrückt worden, woher auch die Schürfwunden entstanden seien, die man später im AKH feststellte. Von gezielten Folterungen mit oben beschriebenen Gesichtsverletzungen als Folge könne daher zu diesem Zeitpunkt nicht die Rede gewesen sein.
Zehetbauer ärgert sich besonders darüber, „dass das Gericht in seiner Abweisung sich nicht mit der Frage beschäftigt hat, ob die neu beigebrachten Fakten geeignet sind, zu einer anderen Beurteilung der maßgeblichen Sachverhaltsfragen zu führen, sondern inhaltliche Beurteilungen der entscheidungswesentlichen Fragen angestellt hat“. Dies sei gerade in solchen Sachverständigenfragen wohl nicht Aufgabe eines Richters, sondern medizinischer Fachleute.
Beweise für Kuhhandel des Polizisten-Anwaltes
Weitere neue Beweismittel hätten sich laut Wiederaufnahmeantrag u. a. durch eine Honorarnote des damaligen Rechtsanwaltes der Polizisten, Werner Tomanek, ergeben, die das wahrheitswidrige Geständnis der drei bei der Hauptverhandlung zumindest zweifelhaft erscheinen lassen. So hätten alle drei zunächst vor dem Büro für interne Angelegenheiten sowie dem Straflandesgericht in ihren Einvernahmen jegliche Foltervorwürfe dezidiert abgestritten.
Am 29. August 2006, einen Tag vor der Hauptverhandlung, habe es eine zweistündige Besprechung zwischen Tomanek, dem damaligen Richter und dem Staatsanwalt gegeben, die sich anhand der Honorarnote nun beweisen lasse. Einen Tag später hätten die Beamten dann vor Gericht die Misshandlung eines Schutzbefohlenen zugegeben. Tomanek habe ihnen, laut jetziger Aussage der drei Ex-Polizisten, aufgrund der massiven, medialen Vorverurteilung einen Kuhhandel mit Richter und Staatsanwalt nahegelegt, wobei sie die Vorwürfe zugeben sollten, eine relativ geringe Strafe erhalten und im Polizeidienst bleiben können. Wie man heute weiß, ging der Schuss nach hinten los, die zuvor mehrfach belobigten und ausgezeichneten WEGA-Beamten wurden verurteilt und aus dem Polizeidienst entlassen.
Gericht nimmt Beweiswürdigung vorweg
Ein neuer Zeuge wurde ebenfalls präsentiert, der die Einlieferung des Gambiers am 7. April ins AKH zur Erstuntersuchung beobachtet hatte und ebenfalls keinerlei ernsthafte Verletzung in dessen Gesicht feststellen konnte. Auch an ihm hat das Gericht offensichtlich kein Interesse, wie die Ablehnung klar dokumentiert. Das gleiche gilt für eine Rufdatenerfassung am neuesten technischen Stand durch ein Detektivbüro. Damit wolle man nachweisen, dass die von Bakary J. vor Gericht angegebenen 30 Minuten in der Trainigshalle, während derer man ihn „geschlagen, getreten, mit dem Auto angefahren und mit dem Umbringen bedroht“ habe, nicht einmal annähernd stimmen können. „Das Gericht nimmt hier in mehreren Fällen eine Beweiswürdigung schlicht vorweg und überschreitet damit den Entscheidungsspielraum, der ihm im Wiederaufnahmeverfahren zusteht“, begründet Zehetbauer ihre Beschwerde.
„Selbst ein Geständnis des Beschuldigten entbindet das Gericht nicht von seiner Pflicht, den Tathergang durch Aufnahme von Beweisen zu klären“, zitiert Zehetbauer aus der Strafprozessordnung. Die Beschwerde geht nun an das Oberlandesgericht Wien, das die Ablehnung entweder selbst aufheben kann oder die Causa an die Erstinstanz zur neuerlichen Begutachtung zurückverweist.