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Ist Venezuela noch zu retten? Plünderungen, Überfälle und Raubzüge stehen an der Tagesordnung.

10. Juni 2016 / 10:04 Uhr

In Venezuela spitzt sich die Lage dramatisch zu

In den vergangenen Wochen haben die Verhältnisse in Venezuela dramatische Dimension angenommen. Dabei gelten die Plünderungen von Supermärkten als landestypisch und dienen als Gradmesser für die verheerende Versorgungslage breiter Bevölkerungsschichten. Die Energiekrise schlägt sich auch in den Hospitälern des Landes nieder. Klinikärzte richten Appelle an die Öffentlichkeit: Sie sehen sich nicht mehr imstande, die Versorgung der Patienten aufrecht zu erhalten.

Gastbeitrag von Michael Johnschwager

Anfang Juni 2016 nun erteilte der nationale Wahlrat (Consejo Nacional Electoral) seine Zustimmung zu einem Referendum, mit dem das Oppositionsbündnis MUD (Mesa de la Unidad Democrática = Runder Tisch der demokratischen Einheit) die Amtsenthebung von Präsident Nicolás Maduro eingeleitet hat. Dieser potentiellen Wendemarke waren einschneidende Ereignisse vorausgegangen:

Hochrangige Militärs, die am 4. Februar 1992 (4F) am niedergeschlagenen Putsch „ihres Comandante“ Hugo Rafael Chávez gegen die Regierung von Carlos Andrés Pérez beteiligt waren, gingen auf Distanz zu Maduro.

Obwohl der Ölpreis zuletzt leicht auf US$ 50 pro Barrel anstieg, sieht sich das Land einer galoppierenden Inflation im dreistelligen Bereich ausgesetzt. Knappen Devisenbeständen versucht der Banco Central durch eine Zwangsbewirtschaftung zu begegnen. Zuletzt sah sich die Notenbank gezwungen, ihre Goldreserven drastisch zu reduzieren.

Eine Dauerfehde entzweit Regierung und den Lebensmittelkonzern POLAR. Die Führung des Unternehmens schloss kurzerhand den Betrieb der konzerneigenen Brauerei POLAR DEL CENTRO und nannte als Begründung, keine Braugerste mehr importieren zu können. Für die Herstellung seiner Limonaden fehlt den Angaben von COCA COLA zufolge der Rohstoff Zucker.

Mitte Mai 2016 absolvierten die bolivarischen Streitkräfte ein Manöver, für dessen Kosten US$ 28 Mio. taxiert werden. Etwa eine halbe Million Soldaten probten die Landesverteidigung, um die nationale Souveränität zu gewährleisten. Dafür mag die Furcht der politischen Führung vor denkbaren Begehrlichkeiten ausschlaggebend gewesen sein. Venezuela verfügt über die größten Erdölvorkommen weltweit. Die Petroleumindustrie wurde bereits 1976 unter Präsident Carlos Andrés Pérez aus den Reihen der sozialdemokratisch orientierten ADECO verstaatlicht.

Mehr denn je bewegt die Venezolaner die Frage nach der wirklichen Nationalität ihres Präsidenten. Jüngst wurde eine Kommission berufen, die sich allein der Aufgabe widmet, dies eindeutig zu ermitteln. Dem Vernehmen nach wurde Maduro in Cúcuta geboren, der Landeshauptstadt des kolumbianischen Departamentos Norte de Santander, an der Grenze zu Venezuelas Bundesstaat Táchira. Zumindest seine Mutter soll kolumbianischer Nationalität sein. Als gesichert gilt, dass der junge Nicolás in Caracas im Viertel Los Chaguaramos  aufwuchs und dort die Schule besuchte. In diesen Zusammenhang gehört zu erwähnen, dass die Mutter des zweimaligen Präsidenten Carlos Andrés Pérez (CAP regierte Venezuela von 1974 – 1979 und 1989 – 1993) Kolumbianerin ist.

Die venezolanische Verfassung schreibt selbstverständlich verbindlich vor, dass der erste Mann des Staates Venezolaner sein muss. Die Frage der nicht eindeutig geklärten Nationalität Maduros bleibt brisant. Die Beziehungen zwischen Venezuela und Kolumbien gelten traditionell als gespannt. So wird von kolumbianischer Seite – hier hat sich der direkt wiedergewählte kolumbianische Ex-Präsident Alvaro Uribe (2002 – 2010) als Hardliner exponiert  –  der Vorwurf erhoben, Venezuela leiste der kolumbianischen Guerilla logistische Unterstützung dies- und jenseits der Grenze zwischen den beiden ungleichen bolivarischen Nachbarn.

Dieser Tage kursiert ein Gerücht, das unter die Gürtellinie zielt. Aber vorgebliches Insiderwissen zu lancieren ist Teil der venezolanischen Folklore. So wird unter Regierungsgegnern eine angebliche intime Beziehung zwischen Chávez und Maduro kolportiert. Die „amigos íntimos“ verband eine langjährige unverbrüchliche Freundschaft. Der Begriff des amigo íntimo definiert einen Menschen  besonderer persönlicher Wertschätzung. Der Massen mobilisierende Charismatiker Chávez übte als Alphatier par excellence nicht nur auf Nicolás Maduro ein hohes Maß an Attraktivität aus. Allerdings bewährte sich der junge Maduro als einer der treuesten Gefolgsmänner „seines“ Comandante.“ Damit avancierte er zu dessen Pupilo (Protegé), also einem Menschen, über den Chávez fortan seine schützende Hand hielt und ihn kurz vor seinem Tode zum Nachfolger im Amt bestimmte.

Michael Johnschwager, 1949 in Hamburg geboren, war als Außenhandelskaufmann von 1980 bis 1990 in Kolumbien, Venezuela und Honduras privatwirtschaftlich, sowie in Entwicklungsprojekten in Costa Rica in beratender Funktion im Einsatz. Seit 2004 ist Johnschwager als fremdsprachlicher Dozent und Autor mit Schwerpunkt Lateinamerika freiberuflich tätig.

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