Derzeit wird eine Reform des Dulin-Abkommens, das bestimmt, welcher Staat für die Überprüfung eines Asylantrags zuständig ist, in Angriff genommen. Dabei soll auch der Familiennachzug neu geregelt werden, wobei der Begriff „Familie“ ziemlich erweitert werden soll.
Bald könnte unter anderem ebenso als "Familie" gelten, was unterwegs, also auf der Reise des Herkunftslandes nach Deutschland oder Österreich, eine Familie geworden ist.
Kernfamilie nur Eltern und minderjährige Kinder
Weil anscheinend derzeit die Maßnahmen (Abriegelung der Balkanroute, EU-Türkei-Abkommen) etwas greifen und die Migranten daher im Vergleich zum vergangenen Jahr in geringerer Zahl nach Mittel- und Nordeuropa kommen, dürfte man sich diese Idee ausgedacht haben, um den Zuzug in bestimmte Länder weiter am Köcheln zu halten.
Nach der derzeitigen Dublin-Regelung ist immer nur ein Land für eine sogenannte Kern-Familie zuständig. Bisher definiert sich diese aus den Ehepartnern sowie deren minderjährigen Kindern und wird als Familie nur akzeptiert, wenn sie auch im Herkunftsland bereits Bestand hatte.
Künftig sollen Reisebekanntschaften auch als "Familie" gelten
Doch die EU sieht genau in dieser Definition Änderungsbedarf: Der Begriff „Familienangehörige“ soll auf Geschwister und auch auf solche "Familien" zutreffen, die sich in den Durchreiseländern gebildet haben.
Das Deutsche Bundesinnenministerium meint zu dieser projektierten Neuregelung: „Das würde in der Praxis bedeuten, dass die Zuständigkeit eines Mitgliedstaates für das Asylverfahren einer Person automatisch die Zuständigkeit für die Asylverfahren einer Großfamilie nach sich zieht.“
Laut Dublin-Übereinkommen wären eigentlich nur jene EU-Länder für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig, in denen die Flüchtlinge zum ersten Mal den Boden der Europäischen Union betreten haben. Und weil die wenigsten Flüchtlinge per Flugzeug kommen, sind das eben derzeit hauptsächlich Italien und Griechenland.
Dublin-Übereinkommen gescheitert
Doch gerade in den letzten Jahren sind viele in der EU Angekommene an den Außengrenzen gar nicht registriert und sofort nach Norden durchgewinkt worden. Dort, also in den aus wirtschaftlichen Gründen projektierten Zielländern (Deutschland, Schweden und auch Österreich) wurde dann erst der Asylantrag gestellt, zumal diese Länder auch bekannt dafür sind, dass man leichter als anderswo Asyl und Sozialunterstützung erhält.
Genau diese Wanderbewegung nach Norden hat eindrucksvoll bewiesen, dass das Dublin-Übereinkommen in der Praxis völlig gescheitert ist. Und gerade deswegen könnten sich die neuen Pläne auf Deutschland (und natürlich Österreich) fatal auswirken, weil plötzlich eine weitere Personengruppe per Definition das Recht hätte, ins Land zu kommen.
Fragwürdige Begründung
Die EU-Kommission versucht ihre Absichten positiv darzustellen, indem sie begründet, dass Familien auf legalem Weg zusammengehalten werden sollen. Sie argumentiert mit der Befürchtung, dass, wenn Geschwister in verschiedenen Ländern Asylverfahren durchlaufen müssten, diese versuchen könnten, in ein gemeinsames Land zu kommen (bei Asylverfahren zweier Brüder, wo einer in Österreich und der andere in Bulgarien um Asyl ansucht, kann man sich denken, welcher von beiden den Versuch unternimmt, illegal ins andere Land zu gelangen…).
Deutsche Politiker kritisch
Allerdings wird dieses Vorhaben der Erweiterung des Familienbegriffs in Deutschland kritisch gesehen, weil man mit Recht fürchtet, dass die Zahl der Einwanderer wieder erheblich steigen könnte.
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag, Stephan Mayer (CSU), meinte dazu: „Das Ansinnen der EU-Kommission, den Begriff der Kernfamilie zu erweitern, ist nicht hinnehmbar.“ Denn dadurch könnte sich auf einen Schlag die Zahl der Zuzugsberechtigten vervielfachen. „Außerdem würden alle Bemühungen, die bisher zur Eindämmung der Zuwanderung getroffen wurden und die ja auch Erfolge zeigen, wie die Vereinbarung mit der Türkei, im Nachhinein konterkariert“, so Stephan Mayer: „Das lehne ich entschieden ab.“
Auch müsse der EU-Kommission klar sein, gab Mayer zu bedenken, dass sie mit solchen Vorschlägen „nicht gerade zum Abbau der Bedenken beiträgt, denen die EU in vielen Mitgliedstaaten mittlerweile begegnet.“ Zusätzlich urteilte der CSU-Politiker noch, dass die Idee der Erweiterung des Familienbegriffs „Wasser auf die Mühlen der Populisten in Europa“ wäre.
Sogwirkung für Migrantenströme zu erwarten
Wenigstens ist sein Fraktionskollege, der Obmann der Union im Innenausschuss, Armin Schuster (CDU), populistisch genug, zuzugeben, dass es Deutschland weiter nicht schafft, die Dublin-Regeln einzuhalten, weswegen es für ihn „unangemessen“ ist, „überhaupt darüber nachzudenken, den Familiennachzug zu erleichtern und auf Großfamilien auszuweiten.“ Die zu erwartenden Folgen einer Neuregelung im EU-Sinne nennt Schuster: „derzeit nicht absehbar – in jedem Fall könnte eine erneute Sogwirkung entstehen.“