Kaum ein Bundeskanzler hatte ernstliches Interesse am Bundesheer.

3. August 2018 / 08:27 Uhr

Verteidigung: Wenn der Bundeskanzler nicht will, dann geht für das Bundesheer fast gar nichts

Die Republik Österreich wird durch ein Kollegialorgan regiert, welches durch einstimmig zu treffende Beschlüsse entscheidet. De facto ist der jeweilige Bundeskanzler aber so etwas wie ein “Primus inter pares” (Erster unter Gleichen), da ihm unter anderem das Vorschlagsrecht zukommt, wer Bundesminister oder Staatssekretär werden soll. Da in der politischen Realität in Österreich der Bundeskanzler auch der Vorsitzende einer politischen Partei ist, gibt der Bundeskanzler bei nahezu allen Themenbereichen die Marschrichtung vor oder stutzt vorpreschende Bundesminister zurück, falls sie von ihm abweichende Meinungen öffentlich kundgetan haben. Somit gibt in der politischen Praxis der Bundeskanzler auch die Marschrichtung bei der Verteidigungspolitik vor, wenn auch in der Bevölkerung das Politikfeld “Verteidigungspolitik” eher dem Verteidigungsminister zugerechnet wird.

Bundeskanzler für Marschrichtung und Zuteilung der Finanzmittel verantwortlich

Die Bundeskanzler sind neben der Vorgabe der Marschrichtung in den einzelnen Politikfeldern auch maßgeblich verantwortlich für die Zuteilung der Finanzmittel des Gesamtbudgets zu den einzelnen Politikfeldern, auch wenn hier von der Öffentlichkeit eher der Finanzminister dafür verantwortlich gemacht wird. Die Bundeskanzler werden bei der Finanzmittelzuteilung zumeist danach trachten, dass die öffentlichen Gelder so ausgegeben werden, dass die Einstellung der Bürger zur Regierungsarbeit und insbesondere zu der Regierungspartei, welcher der Bundeskanzler angehört, einen hohen positiven Zustimmungswert erhält.

Im Klartext bedeutet dies, dass der Bundeskanzler vor allem in jenen Ressorts mehr Geld ausgeben lassen wird, wo er sich sicher sein kann, dass er durch die Verteilung von schmackhaften Zuckerln an die Bevölkerung leichter wiedergewählt werden wird. Aus den einschlägigen Meinungsbefragungen wissen wir, dass die Österreicher ihr Bundesheer zwar sehr schätzen, aber auf der anderen Seite nicht bereit sind, dem Bundesheer mehr Geld zu vergönnen, wenn sie auf der anderen Seite dafür persönlich weniger Geld vom Staat als Transferleistungen oder weniger Steuerersparnis im Zuge eines Steuerausgleiches oder einer Steuersenkung erhalten.

Landesverteidigung zunächst dem Bundeskanzleramt untergeordnet

Die Angelegenheiten für die Landesverteidigung waren nach der Erlangung der Unabhängigkeit zunächst noch im Bundeskanzleramt angesiedelt; erst 1956 wurde ein eigenständiges Verteidigungsministerium gegründet. Der erste Verteidigungsminister war der ÖVP-Politiker Ferdinand Graf. Er blieb dies bis zu seiner Abberufung im Jahre 1961.

Landesverteidigungsbudget bewusst schlank gehalten

Die Politiker der ersten Stunde der Zweiten Republik sowie Ferdinand Graf waren geprägt durch die Gräuel der Kriegszeit. Es liegen dem Autor keine schriftlichen Dokumente vor, jedoch spricht das faktische Tun der verantwortlichen Politiker eine klare Sprache, da die Streitkräfte der Zweiten Republik von Anfang an nicht mit jenen Geldmitteln bedacht wurden, welche von den Planern im Verteidigungsministerium eingefordert wurden. Die geringe Bedeutung, welcher der Landesverteidigung durch den damaligen Bundeskanzler beigemessen wurde, spiegelt sich auch in einem Aktenvermerk wieder, welcher dem Autor vorliegt.

Die Darlegungen im Aktenvermerk aus dem Jahre 1956 klingen plausibel, da der damalige Finanzminister Reinhard Kamitz in seiner Budgetrede von einschneidenden Kürzungen der Ressortwünsche sprach. Im Aktenvermerk berichtet ein hochrangiger Beamter im Finanzministerium darüber, dass der ÖVP-Bundeskanzler Julius Raab nach einer Äußerung des Finanzministers eine Reduktion des Vorschlages für das Landesverteidigungsbudget von 2,1 Milliarden auf 1,5 Milliarden Schillingen gutgeheißen habe. Dieser Abstrich um 28,5 Prozent bedeutete einen großen Einschnitt in die finanziellen Möglichkeiten des Bundesheeres. Das Verteidigungsbudget Österreich war damit weit unter der europäischen Norm.

Damals gaben beispielsweise die neutrale Schweiz fast fünf Milliarden Schilling, das neutrale Schweden 10 Milliarden, das blockfreie Jugoslawien 6 Milliarden, die Mitglieder des Warschauer Paktes Ungarn 3,8 Milliarden und die Tschechoslowakei 3,4 Milliarden Schilling für ihre Streitkräfte aus.

SPÖ: wirtschaftliche Stabilität wichtiger als Landesverteidigung

Der große Abschlag beim Verteidigungsbudget lag aber auch ganz im Sinne des damaligen Koalitionspartners SPÖ, denn wie in den stenographischen Protokollen des Nationalrates der Budgetdebatte des Kapitels Landesverteidigung herauszulesen ist, hielt der Redner der SPÖ, der Abgeordnete zum Nationalrat Kurt Preußler ausdrücklich fest:

Es wäre sehr schön gewesen, wenn wir mehr Geld zur Verfügung hätten. Es wäre dagegen nichts einzuwenden. Aber wir wollen es klar und deutlich sagen: Die Aufrüstung unseres Heeres kann nicht so vor sich gehen, dass die Gefährdung der wirtschaftlichen Stabilität die Folge wäre. Ein österreichisches Bundesheer, das auf Kosten der Investitionen oder der Sozialpolitik aufgebaut ist, wäre nicht Schützer des Staates, sondern eine Gefahr für den österreichischen Staat.

In einer ersten nüchternen Betrachtung, war daher sowohl für die ÖVP als auch die SPÖ das Bundesheer nur ein Randthema, mit dem man politisch kein Kapital und nicht einmal politisches Kleingeld erwirtschaften konnte; auf gut Wienerisch: “Es war ihnen wurscht!”

Kanzlerschaft von Julius Raab: Keine Erfolgsgeschichte für Bundesheer

Die Kanzlerschaft von Julius Raab war nicht gerade eine Erfolgsgeschichte für das junge österreichische Bundesheer, da Österreich im Vergleich zu den anderen kleineren Staaten in Europa mit dem gering dotierten Verteidigungsbudget nur eine Minimalvariante der Landesverteidigung ohne echte Luftraumverteidigung und ohne Lenkwaffen für die Bodentruppen sicherstellen konnte. Man muss allerdings dem Bundeskanzler Raab zu Gute halten, dass er den wirtschaftlichen Aufschwung und das Wiedererlangen eines Wohlstandes als prioritäres Ziel seiner Kanzlerschaft ansah und weniger ein hochgerüstetes Bundesheer, welches dem internationalen Standard entsprochen hätte.

Vermutlich beurteilten die damaligen Machthaber in Österreich die sicherheitspolitische Lage in Europa sehr realistisch und sahen eigentlich keine reale Kriegsgefahr trotz des Säbelrasseln und des künstlich konstruierten Bedrohungsbildes, welches in erster Linie dem wirtschaftlichen Erfolg der Rüstungsindustrie diente, da man nach den besten Zeiten während des Krieges in der Nachkriegszeit mit enormen Umsatzeinbußen rechnen musste.

Alfons Gorbach: Kurzzeitig höhere Verteidigungsausgaben

Auf den Bundeskanzler Raab folgte der ÖVP-Politiker Alfons Gorbach als Bundeskanzler einer ÖVP-SPÖ-Koalition. Der Bundeskanzler Gorbach setzte selbst keine sichtbaren großen Zeichen in Richtung höhere Bedeutung der Verteidigungspolitik, allerdings tolerierte er die kurzzeitigen höheren Ausgaben für die erforderlichen Neuanschaffungen für das Bundesheer.

Da der Stil der Amtsführung von Gorbach zunehmend auf Widerstand in den eigenen Reihen der ÖVP stieß, wurde Gorbach als Parteiobmann abgewählt und Josef Klaus als neuer Bundesparteiobmann der ÖVP gewählt und damit auch als Bundeskanzler einer Koalitionsregierung ÖVP-SPÖ angelobt. Bei der Nationalratswahl 1966 gewann die ÖVP die absolute Mehrheit und Klaus bildete eine ÖVP-Alleinregierung.

Josef Klaus: Keine glückliche Hand bei der Gestaltung der Verteidigungspolitik

Bundeskanzler Klaus hatte keine glückliche Hand bei der Gestaltung der Verteidigungspolitik. Den wohl größten Fehler erlaubte er sich, indem der die Rücknahme des eingesetzten österreichischen Bundesheeres 30 km hinter die Staatsgrenze im Zuge der Tschechenkrise zuließ, was ihm schlussendlich auch teilweise die Niederlage bei den Nationalratswahlen 1970 einbrachte und zu einer intensiven Diskussion führte, wozu das Bundesheer eigentlich gut sei.

Der Ausgang der Nationalratswahl im Jahre 1970 – zum ersten Mal seit 1945 errang die SPÖ mit 81 Mandanten die relative Mehrheit. Bundespräsident Jonas beauftragte nach der bisherigen geübten Praxis den Parteichef der stärksten Partei, den SPÖ-Politiker Bruno Kreisky, mit der Regierungsbildung.

Bruno Kreisky: Außenpolitik ohne Landesverteidigung

Streng nach einem der Leitmottos von Bruno Kreisky: “Eine gute Außenpolitik ist die beste Gewähr für die Neutralität” war während der Kanzlerschaft Kreiskys nicht zu erwarten, dass das Bundesheer plötzlich wesentlich mehr Geld erhalten sollte. Vielmehr nützte Kreisky das Bundesheer geschickt, um Wahlen zu gewinnen, was ihm mit dem Slogan “Sechs Monate sind genug” auch eindrucksvoll gelang.

Auf der Strecke blieben dabei eine ernstzunehmende Verteidigungspolitik und das Kaderpersonal der Streitkräfte. Des Weiteren wirkt seine Schuldenpolitik bis heute nach, da nach der expansiven Budgetpolitik von Kreisky durch die außergewöhnlich hohe Staatsverschuldung kein Spielraum für eine höhere Dotierung des Verteidigungsbudgets bestanden hat.

Kurzzeitkanzler Fred Sinowatz gewährt Überschallflugzeuge

Bei der Nationalratswahl 1983 verlor die SPÖ die absolute Mehrheit. Der SPÖ-Politiker Fred Sinowatz bildete eine SPÖ-FPÖ-Regierung. Sinowatz war zu kurz Bundeskanzler, um einen entscheidende Einfluss auf die Ausgestaltungen der Landesverteidigung ausüben zu können. Ihm ist es aber auf jedem Fall zu verdanken, dass er 1985 den Ankauf von Überschallflugzeugen nicht behindert hatte.

Franz Vranitzky: Kein Interesse an Verteidigungspolitik

Während des Wahlkampfs zur Bundespräsidentenwahl im Juni 1986 trat Sinowatz im Zuge der sogenannten “Waldheim-Affäre” vehement gegen den Kandidaten der ÖVP, Kurt Waldheim, auf. Als dieser gewählt worden war, trat Sinowatz als Bundeskanzler zurück. Gemäß seinem Vorschlag wurde Franz Vranitzky sein Nachfolger und führte für kurze Zeit die Koalition mit der FPÖ fort. Vranitzky bildete nach den Wahlen 1986 mit der ÖVP eine große Koalition. Vranitzky war die Verteidigungspolitik kein ursächliches Anliegen; zu sehr war seine Amtsführung bestimmt durch das Leitmotiv, “nur keine Wellen” und nur keine Ausgaben in Politikfeldern zu fordern, bei denen man in Wahlkämpfen nicht wirklich punkten kann.

Auf der anderen Seite waren die Koalitionsregierungen unter der Kanzlerschaft von Vranitzky die Schuldenweltmeister der Zweiten Republik schlechthin, nur beim Geldausgeben für die Landesverteidigung war man eher zurückhaltend. Vranitzky und seinem jeweiligen Führer des Juniorpartners ÖVP war nur zu klar, dass das Politikfeld Verteidigungspolitik in der Bevölkerung nur wenige Interessierte vor dem Ofen hervorlocken kann und man besser Geld aus dem Fenster werfen soll, wo es auch von der Bevölkerung gerne aufgefangen wird.

Nach Vranitzkys Rücktritt im Jänner 1997 wurde Victor Klima Kurzzeit-Bundeskanzler. Klima hatte eine kurze und eher unglückliche Kanzlerschaft. Er war bemüht die Zeit als Bundeskanzler einer Koalitionsregierung, in der sich die Koalitionspartner in Wahrheit nicht mehr viel zu sagen hatten, bis zu den nächsten Wahlen über die Runden zu retten. In Bezug auf die Verteidigungspolitik hinterließ er jedenfalls keine bleibenden Eindrücke.

Wolfgang Schüssel: auch kein Interesse an Landesverteidigung

Es war klar, dass die Regierung Klima nicht die gesamte Legislaturperiode halten würde. Die vorgezogenen Nationalratswahlen 1999 bescherten zwar der SPÖ den ersten Platz, jedoch bildete die drittplatzierte ÖVP mit der zweitplatzierten FPÖ eine Koalitionsregierung. Bundeskanzler dieser Koalitionsregierung wurde der ÖVP-Politiker Wolfgang Schüssel. Wie seinen Vorgängern, war Schüssel die Verteidigungspolitik auch kein vorrangiges Anliegen. Dies lag vielleicht auch darin begründet, dass er nach dem Studium zuerst als Sekretär des ÖVP-Parlamentsklubs und daran anschließend als Generalsekretär des Österreichischen Wirtschaftsbundes aus “öffentlichem Interesse” vom Wehrdienst freigestellt wurde.

Alfred Gusenbauer: Totengräber des Bundesheeres

Die Nationalratswahlen 2006 brachten durch das Eigenverschulden der ÖVP während des Wahlkampfes für die SPÖ wieder Platz Eins. Bundeskanzler wurde Alfred Gusenbauer. Er war allerdings nur von Jänner 2007 bis Dezember 2008 Bundeskanzler. Aufgrund der anhaltenden Konflikte zwischen den beiden Regierungsparteien wurde bereits 2008 wieder gewählt. Nach großen Verlusten für beide Regierungsparteien, bildeten SPÖ und ÖVP wieder eine Koalition. Bundeskanzler der neuen Koalitionsregierung wurde der SPÖ-Politiker Werner Faymann; er blieb Bundeskanzler bis 2016, danach folgte als Kurzeitkanzler bis 2017 Christian Kern.

Gusenbauer war als Bundeskanzler das Bundesheer kein großes Anliegen, jedoch ließ er es zu, dass sein Fachminister das Bundesheer derartig geschwächt hatte, dass ihm nunmehr die Kraft zum Streiten fehlt und man vom Bundesheer nicht mehr von Streitkräften sprechen kann, sondern höchstens von gehärteten Polizeieinheiten für spezielle Aufgabenstellungen.

Wie sein Vorgänger Gusenbauer war auch Faymann nicht an Angelegenheiten der militärischen Landesverteidigung interessiert, vielmehr tolerierte er den systematischen Todesstoß “Abschaffung der Wehrpflicht ohne geeignete Begleitmaßnahmen” gegen das Bundesheer, welchen sein Fachminister mit willfährigen militärischen Fachleuten ausgeheckt hatte. Der 20-Monate Kanzler Kern war zu kurz Kanzler, um einen entscheidenden Einfluss auf das Bundesheer ausüben zu können. Da er sich offensichtlich nicht in die engagierte Amtsführung seines in der Öffentlich äußert populären Fachministers einmischen wollte, konnte er die fragwürdigen Entscheidungen von Doskozil nicht verhindern.

Sebastian Kurz: Bildung des Sicherheitsclusters

Bei der vorgezogenen Nationalratswahl 2017 wurde die neue türkise ÖVP mit ihrem Spitzenkandidaten Sebastian Kurz stimmenstärkste Partei. Da Sebastian Kurz erst seit knapp einem halben Jahr Bundeskanzler ist, kann noch keine Befundung über die Anlage seiner praktischen Verteidigungspolitik erfolgen. Eines steht aber bereits fest, dass er mit der Bildung des Sicherheitsclusters bemüht ist, die Rivalitäten zwischen dem Innen- und Verteidigungsministerium zu minimieren, was im Ergebnis zu mehr Sicherheit für die Bürger führen wird.

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