Trotz dauernder Berichterstattung über gewalttätige Ausschreitungen reißt die Welle der Proteste in Frankreich nicht ab. Im Gegenteil, immer mehr Menschen schließen sich den “Gelbwesten” an. Bisher hatte sich Präsident Emmanuel Macron dazu in Schweigen gehüllt und spielte auf Zeit, doch nun wandte er sich in einer Fernsehrede an die Bürger. Darin bat er die Franzosen, ihm eine zweite Chance zu geben.
Arroganter Finanzkapitalismus kam nicht gut an
Die erste, die er in den letzten 18 Monaten vergeben hatte, stand im Zeichen des arroganten Finanzkapitalismus, der den Bürgern teuer zu stehen kommt. Die geplante Erhöhung der Öko-Steuer auf Diesel und Benzin, die den maroden Staatsfinanzen vier Milliarden Euro zuschießen hätten sollen und zum Auslöser der Proteste wurde, musste Macron in der Zwischenzeit zurücknehmen.
Teure Zugeständnisse statt fetter Mehreinnahmen
Auch kündigte er in seiner Fernsehansprache einen höheren Mindestlohn – eine der Hauptforderungen der Protestbewegung – und zwar gleich um 100 Euro monatlich sowie abgabenfreie Überstunden an. Für Pensionisten kündigte Macron Steuersenkungen an – und schloss gleichzeitig aus, eine Reichensteuer einzuführen. Er appellierte zudem an französische Unternehmen, Arbeitern einen Jahresend-Bonus auszuzahlen, der steuerfrei bleibe.
Wenig Spielraum für Steuerentlastung
Doch die französische Wirtschaft lässt nur wenig Spielraum für Steuerentlastung, wenn nicht strukturelle Reformen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöhen. Das Staatsdefizit Frankreichs liegt derzeit schon bei rund 2,8 Prozent. Und die Proteste gegen Macrons Politik dämpfen die französische Konjunktur am Jahresende zusätzlich.
Die Banque de France halbierte ihre Prognose für das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts im laufenden vierten Quartal am 10. Dezember auf 0,2 Prozent. Finanzminister Bruno Le Maire erwartet einen Dämpfer in der Höhe von 0,1 Prozentpunkte, was einem Verlust von zwei Milliarden Euro entspräche.
Macrons Amtszeit geht bis 2022
Doch bei den Demonstrationen geht es längst nicht mehr nur um eine Senkung der Abgaben auf Treibstoff oder mehr Kaufkraft, die “Gelbwesten” fordern den Kopf des ungeliebten Staatsoberhaupts, das sie vor eineinhalb Jahren noch mit 60 Prozent der Stimmen gewählt hatten.
Macron wiederum will seine Karriere noch lange nicht beenden. Seine offizielle Amtszeit reicht bis 2022, und diese gedenkt er, auszunützen. Ob ihm das gelingt, ist nicht garantiert. Denn in der Zwischenzeit verschieben sich auch die außenpolitischen Verhältnisse.
Deutsch-französische Achse: “Nicht viel Positives gebracht”
Während Angela Merkels treuester Verbündeter Macron unter Druck steht und Berlin nach der Wahl von Merkels Doppelgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer zur neuen CDU-Parteichefin gespaltener denn je ist, stellt der erfolgreiche und beliebte italienische Innenminister Matteo Salvini fest, dass die deutsch-französische Achse “nicht viel Positives gebracht” habe. Und er bietet gleich eine Alternative an: Eine engere Zusammenarbeit zwischen der Regierung in Rom und der in Berlin könnte Europa “neuen Schwung” geben. Europa sei in Gefahr, weil es seit Jahren “schlecht regiert wird”.