Im August 2024 ließ Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) amtlich feststellen, dass für das Heumarkt-Projekt mit zwei Hochhäusern von 56,5 und 47,85 Meter keine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) notwendig sei.
Neos schwenken auf SPÖ-Linie ein
Möglich wurde dies, weil die Neos, inzwischen in der Stadtregierung angekommen, von ihrem Wahlkampfversprechen, „ein klares Nein“ zu einer UVP-Befreiung zu sagen, nichts mehr wissen wollten.
Gegen den Freistellungsbescheid haben Bürger und zwei Umweltorganisationen Beschwerde am Bundesverwaltungsgericht eingelegt. Sie argumentierten, dass die Vergrößerung der zulässigen Gebäudehöhe von 38 Metern auf mehr als 50 Meter die Frischluftzufuhr zum Stadtpark und damit die Innenstadt behindere. Es lägen also erhebliche Umweltauswirkungen vor und eine UVP wäre geboten.
Unterstützung von UNESCO
Unterstützung bekommen die Wiener von der UNESCO, die Wien seit Jahren droht, den Welterbestatus abzuerkennen, wenn das Monsterprojekt umgesetzt werde. Auch in ihren Augen käme es bei dem Bau keinesfalls nur zu „geringfügigen und daher als nicht wesentlich einzustufenden“ Beeinträchtigungen.
Hunderte Seiten Aktenunterlagen
Nun hat der Kurier ein weiteres Kapitel im Krimi um das Heumarkt-Projekt öffentlich gemacht. Ein ursprünglich kritisches Gutachten zum Einfluss des Baus auf das UNESCO-Welterbe Wiens soll nach Intervention durch die städtische Umweltschutzbehörde MA 22 abgeschwächt worden sein.
Dem Kurier liegt der mehrere hundert Seiten umfassende Heumarkt-Akt vor – und der offenbart ein fragwürdiges Vorgehen.
Kritik von Städtebau-Professorin
Die Städtebau-Professorin Christa Reicher von der Universität Aachen hatte 2023 eine äußerst kritische Stellungnahme zum Heumarkt-Projekt abgegeben. Sie sah durch die geplanten Hochhäuser eine „drastische Veränderung“ des weltberühmten „Canaletto-Blicks“ vom Belvedere aus, sprach von einer „übertriebenen städtebaulichen Geste“ und kritisierte den geplanten Abriss des Hotels Intercontinental, das sie als bedeutenden Zeitzeugen der Wiener Moderne einstufte.
In fünf Bereichen – von Stadtmorphologie bis Wiener Moderne – identifizierte sie erhebliche Beeinträchtigungen. Ihre vorläufige Schlussfolgerung: Das Projekt könne die visuelle und strukturelle Integrität des Welterbes „erheblich beeinträchtigen“.
Kehrtwende nach Treffen
Doch im März 2024 kam es zu einem Treffen zwischen Reicher und Beamten der MA 22. Zwei Tage später wurde sie offiziell aufgefordert, ihr Gutachten zu überarbeiten, da Teile „nicht nachvollziehbar“ seien. Die Folge: Die kritischen Formulierungen wurden deutlich abgeschwächt oder ganz gestrichen.
Im neuen Gutachten vom April 2024 ist von „drastischer Veränderung“ keine Rede mehr – der Canaletto-Blick sei nur noch „verändert“. Auch die Kritik am Intercontinental-Abriss und am Wohnturm fehlt. Das Fazit lautet nun: Keine erhebliche Beeinträchtigung des UNESCO-Welterbes.
Freude bei Stadtregierung und Investor
Das neue Gutachten wurde von der Umweltanwaltschaft und auch von den Anwälten des Bauwerbers und Investors Michael Tojner als „schlüssig“ begrüßt. Die Umweltorganisationen „Alliance for Nature“ und „Virus“ haben bereits Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt. Sie sehen in dem Verfahren eine grobe Verletzung der gebotenen Unabhängigkeit – und mögliche politische Einflussnahme auf eine zentrale Entscheidung in einem UVP-Verfahren.
Ob das Gericht dem Bescheid der Stadt Wien und dem neuen Gutachten folgt, wird richtungsweisend sein – nicht nur für das Projekt am Heumarkt, sondern für den Umgang mit Welterbe in ganz Österreich.
Spannung vor Gemeinderatssitzung
„Wenn die MA 22 tatsächlich massiven Einfluss auf die Gutachterin genommen hat, könnte das auf Amtsmissbrauch durch die weisungsgebundenen Beamten und den zuständigen Stadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) schließen lassen“, sagt der Wiener FPÖ-Planungssprecher Toni Mahdalik. Er verlangt, dass die UVP-Prüfung aufgrund der massiven Verdachtslage neu gestartet und das offenbar getürkte Verfahren für ungültig erklärt werde. Er kündigte einen entsprechenden Antrag in der morgigen Gemeinderatssitzung an.