Was sich derzeit um angeblichen „Kindesmissbrauch“ in einem städtischen Kindergarten in der Waidhausenstraße in Wien-Penzing abspielt, erinnert an die Hexenverfolgungen in früheren Jahrhunderten: Da erheben Eltern eines Kindes vor einem Jahr völlig unbewiesene Vorwürfe gegen einen dort tätigen Pädagogen. Die MA 10 als zuständige Magistratsabteilung versetzt den Mitarbeiter und tut ansonsten wenig. Was auch, denn beweisen lassen sich die Vorwürfe nicht.
Hilfsverein husst Eltern auf
Jetzt, ein Jahr später, wärmt ein offensichtlich auf mediale Wahrnehmung und damit zusammenhängende Subventionierung angewiesener Hilfsverein namens “Selbstlaut – Fachstelle für sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen” – der interessanterweise mittlerweile in keiner Medienmeldung mehr erwähnt wird – die Sache auf und husst Eltern des besagten Kindergartens auf, ob nicht vielleicht auch ihre Kinder „missbraucht“ worden seien. Beweise gibt es noch immer nicht, lediglich Indizien aus dem Verhalten des Kindes, die Missbrauch als Ursache haben könnten, aber nicht müssen. Die vor allem an die Medien weitergespielte Hysterie gewinnt an Durchschlagskraft.
Wie wickelt man ein Kind ohne Berührungen?
Dass es um den Vorwurf von angeblich sexuellen „Berührungen beim Wickeln und beim Schlafen“ eines Kindes im Kindergarten geht, erscheint niemandem hinterfragenswert. Doch wer jemals ein Kleinkind gewickelt, gewaschen und eingeschmiert hat, weiß, dass „sexuelle Berührungen“ dabei kaum zu vermeiden sind bzw. von Außenstehenden leicht als solche interpretiert werden können. Mittlerweile wird sogar kolportiert, dass besagtes Kleinkind zur angeblichen Missbrauchs-Zeit gar nicht mehr im Kindergarten gewickelt wurde und auch nicht mehr dort geschlafen hat.
Findiger Anwalt will Stadt Wien verklagen
Doch der Ball ist im Rollen – und die Hexenjagd beginnt. Schon bald melden sich weitere Eltern, deren Kinder plötzlich auffällig waren oder sind, und vermuten ebenfalls „sexuellen Missbrauch“. Und flugs findet sich auch ein findiger Anwalt – Johannes Bügler -, der medienwirksam weitere Eltern ermutigt, sich mit Phantasiesummen-Forderungen – derzeit 50.000 Euro pro Kind – an einer Klage gegen die Stadt Wien zu beteiligen. Schon praktisch, wenn man jede Nerverei der Kleinen auf angeblichen Missbrauch im Kindergarten zurückführen kann und dafür auch noch viel Geld kassiert.
Unwürdige Hexenjagd gegen Kindergarten-Personal
Was sich vor dem Kindergarten seither abspielt, könnte aus dem 16. Jahrhundert stammen. Eltern rotten sich zusammen und beschimpfen Mitarbeiter, die sich dort zeigen. Viele Mitarbeiter sind daher im Krankenstand, die langjährige Leiterin, der bisher eigentlich kein konkretes Dienstvergehen vorgeworfen wurde, kann sich dort nicht mehr blicken lassen und ist angeblich suspendiert. Weder sie, noch der bisher ohne jeden Beweis belastete Pädagoge – ein Familienvater – trauen sich mittlerweile mehr auf die Straße, sind psychisch massiv angeschlagen und müssen um ihre körperliche Sicherheit und ihre berufliche Zukunft fürchten. Bessere Bauernopfer gibt es gar nicht.
Medien heizen Hysterie weiter an
Doch nicht nur die üblichen Krawall-Gratis-Medien, sondern sogar vorgeblich seriöse Blätter ereifern sich in seitenlangen Artikeln, wie sehr der Beruf des Kindergarten-Pädagogen nicht von sexuellen Abgünden behaftet sei: Ein angeblicher Experte darf etwa in der amtlichen (!) Wiener Zeitung unwidersprochen den Generalverdacht äußern, dass viele männliche Pädagogen diesen Beruf allein deshalb ergreifen, um dabei Kinder missbrauchen zu können!
MA10 lässt ihre Mitarbeiter im Regen stehen
Ein wahrer Bärendienst für die – ähnlich wie im Pflegebereich – ohnehin mit massiver Personalnot kämpfende Berufsgruppe, speziell im männlichen Bereich. Doch auch die MA10 stellt sich in keiner Weise hinter ihre Mitarbeiter, sondern überlässt diese lieber der Medien-Inquisition samt öffentlichem Social Media-Scheiterhaufen.
Wem nützt der ganze Wirbel?
Was die vom zuständigen und offensichtlich (nicht nur in diesem Fall) völlig überforderten Neos-Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr eingesetzte Untersuchungskommission bis Ende Juni bringen soll, ist fraglich. Es scheint weder Zeugen für den „Missbrauch“, noch sonstige eindeutige Beweise zu geben. Auf die Frage, cui bono (wem nützt es?), kann man wohl nur antworten: jenen offensichtlich überforderten Eltern, die Probleme mit ihren Sprösslingen lieber dem Kindergarten umhängen wollen und dabei von einem nicht ganz selbstlos agierenden Verein bestärkt wurden, Medien, denen kein „Skandal“ zu schmutzig ist, ein Anwalt, der seine große Chance auf Bekanntheit wittert – und eine Stadtverwaltung, die lieber wieder einmal Bauernopfer über die Klinge springen lässt, als am längst reformbedürftigen Wiener Kindergarten-System etwas zu verbessern.
Wiener Kindergärten haben ganz andere Probleme
Denn dort geht es in der Regel nicht um angeblichen sexuellen Missbrauch der Kinder, sondern um extremen Personalmangel, viel zu viele nicht deutsch muttersprachliche und ungeförderte Kinder mit immer mehr Behinderungen wie etwa Autismus – und viel zu viele Bobo-Eltern, die ihren Kleinen keinerlei Grenzen mehr setzen, was im Kindergarten zwangsläufig zu Konflikten führt. Gleichzeitig fehlen viel zu viele Integrationsplätze für ebensolche Kinder und die entsprechend ausgebildeten Sonderpädagogen.
Wenn zu all diesen Belastungen auch noch der latente Vorwurf potentiellen sexuellen Kindesmissbrauchs dazukommt, darf sich keiner wundern, dass immer weniger den Beruf des Kindergarten-Pädagogen ergreifen wollen.