Frankreich im Jänner 2020. Mila Orriols, eine 16-jährige Schülerin veröffentlicht ein folgenschweres Video auf ihrem Instagram-Profil. Sie erklärt darin:
Ich hasse die Religion, der Koran ist eine Hassreligion, darin gibt es nur Hass, der Islam ist Scheiße. Das ist, was ich denke, ich sage, was ich mir denke, verdammt noch mal.
Was dann passierte, beschrieb Orriols wie folgt: „Ich erhielt 200 Hassnachrichten pro Minute“. Bereits einen Tag nach dem Posting sah sie sich mit zehntausenden, teils schweren Drohungen und Aufrufen, sie zu vergewaltigen, lynchen und umzubringen, konfrontiert.
Zuvor hatte sie in einer online-Unterhaltung mitgeteilt, dass sie Araberinnen nicht schön fände. Nachdem sie die Avancen eines Internet-Nutzers zurückgewiesen hatte, wurde sie von diesem wüst beschimpft und als „Rassistin“ und „islamophob“ bezeichnet.
Aufruf zum Mord
In weiterer Folge kam es zu dem obigen Instagram-Posting, in dem Orriols den Vorwurf, eine Rassistin zu sein, kategorisch von sich wies und zudem unter Berufung auf die Meinungsäußerungsfreiheit erklärte:
Man kann gegenüber einer Religion nicht rassistisch sein. Eure Religion ist Scheiße, Eurem Gotte stecke ich einen Finger ins Arschloch, danke auf Wiedersehen.
Was rechtfertigt einen Mordaufruf?
Eine Verrohung der Sprache meinen die einen. Aber kann ein Aufruf zum Mord durch irgendetwas gerechtfertigt sein? Die Reaktion auf das Video steht in keiner Relation, findet jedenfalls die Vorsitzende des Rassemblement National, Marine Le Pen. Sie stellt sich schützend vor Oriols und teilte auf Twitter mit:
Die Äußerungen dieser jungen Frau sind die in Worten gefasste Beschreibung der Karikaturen von Charlie Hebdo, nicht mehr und nicht weniger.
Man könne das zwar ordinär finden, man könne deshalb nicht akzeptieren, dass manche sie im Frankreich des 21. Jahrhunderts zum Tode verurteilen.
„Du darfst die Ausuferungen des Islam nicht hinterfragen“
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums sind die Unterstützungserklärungen für Mila selten. Manche Aktivisten der schwulen Gruppe LGBT haben Mila sogar ersucht, die Regenbogenfahne von ihrem Instagram Profil zu löschen. Die Journalistin Dominique Nora schrieb in dem Zusammenhang in der als sozialdemokratisch geltenden französischen Wochenzeitung L’Obs:
Im Frankreich des Jahres 2020 darfst Du – wenn Du links bist – die Ausuferungen des Islams nicht hinterfragen. Noch weniger darfst Du dich in blasphemischer Art und Weise gegen den Gott der Muslime äußern. Das macht aus Dir automatisch einen islamophoben Rassisten.
Verfahren eingestellt
Französische Behörden kümmern sich nun um Orriols’ physischen und psychischen Schutz. Ihren Wohnort musste sie bereits verlassen. Die Staatsanwaltschaft der Stadt Vienne im Departement Isère eröffnete zwei separate Untersuchungen: eine um die Urheber der „Drohungen und Verbrechen“ mithilfe von auf Cyberkriminalität spezialisierten Gendarmen auszuforschen und eine zweite gegen Mila Orriols selbst wegen „Anstiftung zum Rassenhass“. Ziel sei es, diejenigen Äußerungen der Minderjährigen zu identifizieren, die nicht durch die verfassungsrechtlich gewährleistete Meinungsäußerungsfreiheit geschützt sind.
Staatsanwalt Jérôme Bourrier hat das Verfahren gegen Orriols nun eingestellt, da sie durch ihre Äußerungen den strafrechtlichen Tatbestand der Verhetzung nicht erfüllt hat. Sie habe eine Religion angegriffen, nicht deren Anhänger. Hätte Mila Orriols also explizit gegen gläubige Muslime gesprochen, wäre eine Anzeige gerechtfertigt.
Menschenrechtsorganisationen halten sich heraus
Das Thema beschäftigt Frankreich. In mehreren Talkshows wurde bereits darüber diskutiert. So auch in der Sendung „Les Grandes Gueules“ am 24. Jänner. Viele ziehen Parallelen zu dem islamisch motivierten Anschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo, bei dem ein Großteil der Redaktion ermordet wurde. Andere wiederrum scheuen sich nicht, offen zu sagen, dass Orriols eine Bestrafung verdient habe. Auch die Tatsache, dass die polemischen Aussagen absichtlich auf einer Plattform mit enormer Weitreiche, wie Instagram, veröffentlicht wurden, deuten viele als hetzerisch. Dass Mila dennoch Unterstützer hat, zeigt der „Unterstützungs–Hashtag“ „JeSuisMila“.
Orriols erhält nach wie vor Hasspostings und kann aus Sicherheitsgründen nicht in die Schule gehen. Ihr Rechtsanwalt, Richard Malka, erklärte, dass dieser Umstand beunruhigend sei:
Im Jahr 2020 übt ein junges Mädchen ihr Recht, den Islam zu kritisieren aus, und kann nun nicht mehr ins Gymnasium gehen.
Besonders verstörend findet Malka, dass keine einzige Menschenrechtsorganisation sich klar für Orriols eingesetzt hat.