Der Spitzensteuersatz bleibt bei 55 Prozent. Das ist an diesem Wochenende die Botschaft der ÖVP-Message-Control. Zuerst kündigte Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) das im Ö1-Mittagsjournal an. Dann wurde am späten Nachmittag an zahlreiche Medien die Info verteilt, auch Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) seien dafür, den Einkommens-Millionären weiterhin mehr als die Hälfte des verdienten Geldes abzuknöpfen. Das Ergebnis: Ziemlich gleichlautende Schlagzeilen heute in der Kronen Zeitung, im Kurier, in Österreich, in der Kleinen Zeitung, in der Tiroler Tageszeitung und in der Presse.
Medien-Wettkampf um die Gunst des Kanzlers
Diese Zeitungen haben das freilich nicht selbst recherchiert. Sie haben einfach eine E-Mail oder einen Anruf bekommen von den Presseleuten des Kanzlers. Damit begann der Wettkampf: Wer schafft es, diese Nachricht schneller und regierungsfreundlicher zu verkaufen? Der Preis geht diesmal eindeutig an die Kronen Zeitung.
Krone gewinnt mit Attacke auf FPÖ
Denn das Benko-Blatt versteht es, zusätzlich zur Regierungs-Bejubelung auch noch der FPÖ eins überzubraten. Erst durch die schwarz-grüne Regierung herrsche in dieser Frage Einigkeit, während die FPÖ „die befristete Maßnahme auslaufen lassen“ wollte, wird in dem Bericht behauptet.
Fall für ein künftiges Desinformations-Gesetz?
Krone-Schreiberin Doris Vettermann kann froh sein, dass die Regierung mit dem angekündigten Gesetz gegen Desinformation noch nicht ernst gemacht hat, sonst säße sie vielleicht als eine der Ersten auf der Anklagebank. Denn verdrehter kann man den tatsächlichen Sachverhalt kaum mehr darstellen.
Schwarz-Grün vergaß auf Spitzensteuer
Weggelassen wurden nämlich wesentliche Informationen. Zum einen, dass die neue Regierung offenbar auf den Spitzensteuersatz zunächst selbst „vergessen“ hat. Noch am 3. Jänner titelte etwa der Kurier „Regierungsprogramm: 55-prozentiger Spitzensteuersatz läuft heuer aus“ und schrieb darin wahrheitsgemäß:
Im türkis-grünen Regierungsprogramm kommt die Verlängerung dieses 2016 befristet eingeführten Sondersteuersatzes nicht vor. In der von ÖVP und FPÖ geplanten Steuerreform wäre noch eine unbefristete Verlängerung vorgesehen gewesen.
Türkis-Blau bekannte sich dazu
Tatsächlich – und auch das erwähnt die Krone mit keinem Wort – brachten ÖVP und FPÖ noch kurz vor dem Zerbrechen der gemeinsamen Regierung, konkret am 1. Mai 2019, im Ministerrat eine Vorlage zur Entlastung Österreichs ein, in der es heißt:
Der Spitzensteuersatz im Bereich der Einkommensteuer soll über das Jahr 2020 hinaus unbefristet beibehalten werden.
Fuchs klärt über Ministerratsvortrag auf
Der von der Krone als potenzieller Abschaffer des Spitzensteuersatzes vorgeführte ehemalige Finanz-Staatssekretär Hubert Fuchs (FPÖ) erklärte dazu noch am Samstagabend:
Ich habe diesen Ministerratsvortrag höchstpersönlich mit dem Kabinett des Finanzministers ausformuliert.
Er verstehe schon, so Fuchs, „dass die holprig gestartete schwarz-grüne Regierung Erfolgsmeldungen braucht – aber sie sollte bei der Wahrheit bleiben“.
Wohl kein Versehen der Kronen Zeitung
Die Kronen Zeitung ficht all das nicht an. Auch zwölf Stunden nach Fuchs‘ Richtigstellung via Presseaussendung heißt es dort unverändert „ÖVP/Grüne kontra FPÖ“. Ein Indiz dafür, dass es sich nicht um ein Versehen handelt, sondern um bewusste Desinformation.