Über die Mittelmeerroute kommen nach wie vor viele Armuts- und Wirtschafts-Migranten nach Europa. Das ist nur möglich, weil sie durch die Staaten in Nordafrika nicht wirkungsvoll daran gehindert werden, in den Mittelmeerhäfen die von Schleppern bereitgestellten, oftmals hochseeuntauglichen Boote besteigen zu können. Marokko, Algerien, Tunesien und auch Ägypten bemühen sich zwar, aber es fehlt ihnen an konsequenter diesbezüglicher Politik und auch am notwendigen Geld, ihre Grenzen lückenlos dicht zu machen. Libyen wiederum hat derart zerrüttete innenpolitische Verhältnisse, dass es dem Grenzschutz nur untergeordnete Bedeutung beimisst.
Gaddafis Sturz läutete “arabischen Frühling” ein
Blicken wird fast zehn Jahre zurück: Damals noch unter dem Machthaber Muammar al-Gaddafi war das noch anders, hier war Libyen ein Bollwerk, über das keine Migration nach Europa möglich war. Gaddafi ließ sich dafür aber auch von den europäischen Staaten materiell (geordnete Handelsbeziehungen) und auch immateriell (durch Duldung seiner feudalen Diktatur) abgelten. Im Sog des sogenannten „arabischen Frühlings“, den die USA und viele europäische Staaten euphorisch unterstützt haben, wurde der libysche Machthaber mit Hilfe der USA, Großbritanniens und Frankreichs im Jahr 2011 gestürzt, und Libyen versank danach in ein mittlerweile fast zehn Jahre andauerndes innenpolitisches Chaos.
Vom reichsten Land Afrikas zum Armenhaus
Die Wirtschaftsdaten belegen dies nur zu gut: Libyen hatte 2010, vor dem Sturz Gaddafis, rein statistisch gesehen ein Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner von 12.120 US-Dollar (eines der Höchsten in ganz Afrika), 2019 konnte jeder Einwohner in Libyen im Schnitt nur noch über 7.235 US-Dollar verfügen. Dies bedeutet – rein statistisch gesehen – einen massiven Rückgang der Lebensqualität jedes einzelnen Bürgers. Gaddafi mag zwar mit harter Hand das Land regiert haben, aber Libyen zählte unter ihm zu den reichsten afrikanischen Ländern mit einer gesundheitlichen Versorgung auf hohem Niveau und einem geordneten Bildungssystem.
Sinnloser Stellvertreter-Krieg
Heute steht Libyen am Abgrund und wurde zu einem willenlosen Spielball verschiedenster Interessen der Großmächte USA und Russland. Die letzte Initiative der Türkei, die (offiziell anerkannte) libysche Regierung unterstützen zu wollen, zeigt dies nur zu deutlich auf. Die Türkei handelt zwar im eigenen Interesse, aber diese Aktion ist auch im Interesse der USA. Die Unterstützung der schwachen Regierung dient nur zur Aufrechterhaltung des instabilen Zustandes und zieht den Machtkampf um die Herrschaft im Lande nur in die Länge.
Bürgerkrieg verhindert effektiven Grenzschutz
Dies wiederum ermöglicht es zahlreichen Flüchtlingen, ungehindert nach Europa zu kommen, da Libyen über keinen wirkungsvollen Grenzschutz verfügt. Die Flüchtlingswellen, die auf Europa zukommen, nutzen auch den USA, da Europa unsicherer wird, wirtschaftlich absinkt und damit keinen Gegner mehr für die USA darstellt.
Bringt General Haftar die Wende?
Die Lösung des Machtkampfes im europäischen Interesse kann nur in einer dauerhaften stabilen Regierung in Libyen liegen. Hier zeichnet sich kein rascher Erfolg ab. Als „starker Mann“ könnte sich der abtrünnige General Chalifa Haftar etablieren, der mit seinen Truppen den Osten des Landes beherrscht und seit Monaten versucht, die Hafenstadt Tripolis einzunehmen und die Regierung zu stürzen. Haftar wird von Ägypten, Saudi Arabien, Russland und angeblich auch von Frankreich unterstützt. Ob Haftar es schafft, das Land zu einen und zu stabilisieren, hängt vor allem von der Unterstützung aus dem Ausland ab.
EU kann eigene Grenzen auch nicht bewachen
Derzeit wird das Land auf beiden Seiten jedenfalls von Waffen aller Art überschwemmt – ein Alptraum für die Libyer und nicht zuletzt für die Europäer, die es ihrerseits nicht schaffen, die Mittelmeer-Route nachhaltig zu sperren. Dazu bräuchte es einen einheitlichen und klaren politischen Auftrag, wie ihn Italiens Ex-Innenminister Matteo Salvini erteilte. Doch ein solcher ist derzeit weder in Griechenland, noch in Italien oder Spanien, wo fast alle „Flüchtlinge“ landen, zu erkennen.