Der Premierminister des Kosovo, Hashim Thaci, zeigt sich von den schweren Vorwürfen gegen ihn unbeeindruckt. Einem Bericht des Schweizer Europarats-Abgeordneten Dick Marty zufolge soll Thaci Ende der Neunziger Jahre der Kopf einer Bande gewesen sein, die mit den Organen mehrheitlich serbischer Kriegsgefangener handelte. Jetzt attackiert er Marty, vergleicht ihn mit Goebbels und beschuldigt ihn, die serbisch-kosovarische Aussöhnung zu torpedieren.
Foto: US Department of Defense / Wikimedia
Der Vorwurf geht jedoch ins Leere, wenn man bedenkt, dass Thaci in Serbien weiterhin mit Haftbefehl gesucht wird. Justizministerin Snezana Malovic bestätigte dies. Der frühere UCK-Kommandant Thaci war 1997 wegen Terrorismus zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. 2003 wurde der Haftbefehl um den Vorwurf des Völkermordes erweitert. Zu den im Europarats-Bericht erhobenen Vorwürfen sagte Malovic, dass seit 1999 kontinuierlich Informationen und Beweise für den Organhandel gesammelt würden. Wenn Thaci den Bericht des Schweizers Marty nun als Angriff auf den bevorstehenden Dialog zwischen Pristina und Belgrad bezeichnet, so klammert er den Umstand aus, dass er leicht in einer Zelle landen könnte, sofern dieser Dialog auf serbischem Territorium stattfindet.
Wesentlich irritierender als das sind jedoch Thacis persönliche Angriffe auf Marty. "Die Art und Weise, wie Marty seinen Bericht geschrieben hat, erinnert mich an die Propaganda von Joseph Goebbels", erklärte der kosovarische Premier gegenüber Schweizer Zeitungen. Und: "Der Unterton dieses Pamphlets ist rassistisch.“ – Auch im Kosovo weiß man bereits, mit welche Keulen man zuschlagen muss, um sich am einfachsten aus der Verantwortung zu stehlen.
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Der Europarat wird seine Beratungen hoffentlich unbeeindruckt von Thacis Ausfälligkeiten fortsetzen und vermutlich am 25. Jänner in der Parlamentarischen Versammlung über den Entschließungsentwurf abstimmen, den der Ausschuss für Recht und Menschrechte bereits angenommen hat. Darin wird eine Reihe von nationalen und internationalen Untersuchungen gefordert. Vor allem die EU-Mission im Kosovo EULEX wird in die Pflicht genommen. Gleichzeitig räumen die Europarats-Abgeordneten jedoch ein, dass von den vor Ort tätigen internationalen Organisationen wenig zu erwarten ist, weil diese auch bis jetzt versagt hätten: „Die im Kosovo vorhandenen internationalen Organisationen bevorzugten einen pragmatischen politischen Ansatz, weil sie der Auffassung waren, dass sie um jeden Preis kurzfristige Stabilität fördern mussten. Dabei opferten sie jedoch einige wichtige Gerechtigkeitsgrundsätze”, heißt es im Resolutionsentwurf.
Grafik: Europarat
Aus der vom Europarat veröffentlichten Karte, die den Weg der Kriegsgefangenen zeigt, wird klar, dass zur Aufklärung der Geschehnisse die Kooperation vor allem eines Landes nötig ist: Albanien. Die mutmaßlichen Gräueltaten spielten sich nicht etwa im Kosovo oder in grenznahen Gegenden ab, sondern mitten in Albanien. Die Entnahme von Organen soll in der Nähe der Hauptstadt Tirana stattgefunden haben, stellt der Europarats-Ausschuss fest: „Zahlreiche Hinweise scheinen zu bestätigen, dass während der Zeit unmittelbar nach dem bewaffneten Konflikt […] einigen Gefangenen in einem Krankenhaus in der Nähe von Fushë-Kruje auf albanischem Hoheitsgebiet Organe entnommen wurden, um diese zur Transplantation ins Ausland zu bringen.”