Die ÖVP kommt aus den Schlagzeilen nicht heraus. Und immer mehr verdichten sich die Gerüchte, wonach die ÖVP nicht die Sauberpartei ist, wie sie Ex-Kanzler Sebastian Kurz so gerne darstellt. Der Falter schreibt über die aktuelle Affäre: eine „mutmaßlich kriminelle Geheimaktion“.
Engster Vertrauter im Visier der Staatsanwaltschaft
Der Fotograf und ehemalige Social-Media-Chef von Kurz, Arno M., hatte noch vor der Abwahl seines Mentors insgesamt fünf Festplatten aus dem Kanzleramt unter falschem Namen vernichten lassen. Durch einen stümperhaften Lapsus, nämlich dem Nichtbezahlen der Rechnung, flog er auf und nährt seither die Gerüchteküche: Welche Daten befanden sich auf den Festplatten, dass sie sogar geschreddert werden mussten?
Der Falter zitiert den Geschäftsführer der Firma Reisswolf, Siegfried Schmedler, der den Fall publik machte. Denn M. hatte nicht nur einen seltsamen Schredderauftrag unbezahlt gelassen, er hatte den Auftrag auch unter falschem Namen und falscher Email-Adresse erteilt. So beschreibt Schmedler seinen Kunden aus dem Bundeskanzleramt:
Er hat sich bei der Anmeldung schon sehr nervös verhalten und auch bei dem ganzen Prozess war er die ganze Zeit nervös. Er wollte auf keinen Fall die Festplatten aus der Hand geben.
Fehlende Perfektion eines Strizzis
Reisswolf musste die Schredder-Durchgänge dreimal wiederholen – darauf bestand der Kunde. Normalerweise reiche ein Vorgang, um eine normgerechte Vernichtung sicherzustellen.
Schmedler sieht in der Festplattenvernichtung einen ungewöhnlichen Vorgang, der in der 25-jährigen Geschichte seiner Firma „noch nie passiert” sei. Noch nie habe jemand „unter falschem Namen und mit solchem Aufwand Festplatten vernichten lassen“. Auffällig war auch, dass der Kunde die „schon geschredderten Partikel wieder mitnehmen wollte“.
Alles wäre wohl eine ÖVP-Geheimaktion geblieben, wenn dem „Strizzi” M. nicht ein gravierender Anfängerfehler unterlaufen wäre: Er hatte zwar einen falschen Namen erfunden, aber seine tatsächliche Rufnummer hinterlegt. So konnte die Firma Reisswolf ihn letztlich überführen. Sie erstattete Anzeige gegen ihn wegen der nicht bezahlten Rechnung in der Höhe von 76,45 Euro.
Wie vom Erdboden verschluckt
Mit den Vorwürfen durch den Falter konfrontiert, habe M. erklärt, nicht „on the records“ sprechen zu wollen. In der Zwischenzeit hat der Social-Media-Beauftragte von Sebastian Kurz sowohl seinen Facebook- als auch seinen Twitter-Account vom Netz genommen. Auch seine Verbindungen zur Jungen ÖVP sind nicht mehr abrufbar. Als wäre M. vom Erdboden verschluckt.
Dabei hatte alles so erfolgversprechend ausgesehen. M., der seine politische Karriere über den Mittelschüler-Kartellverband, die ÖVP-nahe Schülerunion und die „Junge ÖVP“ machte, ist einer der engsten Vertrauten von Kurz. So hielt ihm Kurz auch die Stange, als sich die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft Graz in den Fall einschaltete.
Für ÖVP – ein “üblicher Vorgang”
Am vergangenen Donnerstag sah sich die ÖVP genötigt, Stellung zu beziehen. Ein „ÖVP-Mitarbeiter“ habe nach der Abwahl von Kurz „den Druckerserver“ schreddern lassen. Alles ganz normal, alles vollkommen korrekt. Für Kurz ist die Schredderei ein „üblicher Vorgang“, alles andere „Anpatzerei“ – wie immer, wenn gegen die ÖVP ermittelt wird.
Doch die Sache bleibt trotz der ÖVP-Taktik “Mein Name ist Hase” äußerst undurchsichtig. Denn unmittelbar nach der Schredderei kam ans Tageslicht, dass die ÖVP mit dem „Ibiza-Video“, das HC Strache als Vizekanzler und damit die angesehene Regierungskoalition aus ÖVP und FPÖ zu Fall brachte, etwas zu tun haben könnte. Es ging um E-Mails von Medienminister und Kurz-Vertrauten Gernot Blümel und dem Kanzler, in denen von belastendem Videomaterial die Rede sein soll. Ob die E-Mails über die Festplatten im Bundeskanzleramt liefen, scheint zumindest möglich. Warum sonst sollte so ein Aufhebens um die Vernichtung von Festplatten einer Behörde gemacht werden.
Nach der Anzeige der Firma Reisswolf übernahm nun die Sonderkommission „Ibiza“ den Fall. Sie vermutet, dass bei der Schredder-Aktion Beweismaterial vernichtet worden sein könnte.