Am 23. Juni wurde Beate Meinl-Reisinger mit 94,7 Prozent zur neuen Chefin der Neos gewählt. Ab Herbst wird die Wunschnachfolgerin von Matthias Strolz auch im Nationalrat als Klubchefin fungieren.
Grün angehauchtes ÖVP-Wählerklientel im Auge
Meinl-Reisingers ursprüngliche politische Heimat war die ÖVP und dort der linke Flügel. Sie arbeitete im Brüsseler Büro von Othmar Karas und unterhält immer noch Kontakt zu ihm. Danach war sie Referentin in der Wirtschaftskammer, bis sie ins Kabinett der damaligen Familienstaatssekretärin Christine Marek wechselte und später politische Referentin in der ÖVP Wien war. Eine klassische Berufspolitikerin ohne Draht zur realen Wirtschaftswelt.
Inhaltlich wird sie wohl die bürgerlichen, aber vielfach grün angehauchten Wähler ansprechen. In jenen Wahlsprengeln, die einst tief schwarz waren, dann immer grüner wurden, bis zuletzt der Ex-Grüne Alexander Van der Bellen große Erfolge feierte, hat die neue Chefin gute Karten. Folgerichtig sieht sich die neue Neos-Chefin weder als links noch als rechts sondern – wer eigentlich nicht? – in der Mitte der Gesellschaft.
Etikettenschwindel
Die Neos hatten mit ihrer Forderung nach Entbürokratisierung und Steuerentlastung vielen Leistungsträgern im Lande aus dem Herzen gesprochen, nicht jedoch mit ihrer einwanderungs- und einwandererfreundlichen Gesellschaftspolitik. Die Positionierung “in der Mitte der Gesellschaft” ist so gesehen ein Etikettenschwindel, denn die Einwanderungsbefürworter stehen alle links. Vielleicht liefert die Antwort in Meinl-Reisingers Bekenntnis, sie sei “anders”, den Schlüssel zur gesellschaftspolitischen Positionierung.
Derzeit versuchen sich die Neos als Oppositionspartei zur Regierung, obwohl diese viele ihrer wirtschaftsliberalen Forderungen selbst im Programm hat. Deshalb kommt auch die Kritik der Neos am Regierungsentwurf zur Flexibilisierung der Arbeitszeit nicht inhaltlich daher, sondern formal: Für die Neos sei es ein “Husch-Pfusch-Gesetz” – doch was genau missfällt, ist nicht klar.
Letzte EU-Verteidiger
Das Alleinstellungsmerkmal der Neos ist ihr treues EU-Bekenntnis, auch unter Meinl-Reisinger. Ganz in der Manier der EU-Bürokratie kann sie sich eine EU-weite CO2-Steuer vorstellen. Wie sich dies mit der Forderung nach Entbürokratisierung und Steuerentlastung vereinbaren lässt, erklärte sie nicht.
In ihrer einstündigen Antrittsrede betonte die 40-jährige Juristin und verheiratete Mutter zweier Töchter viele freiheitliche Positionen: Es gehe ihr um Freiheit, Eigenverantwortung, Selbstbestimmtheit, die liberale Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Aber es geht ihr auch um die “offene Gesellschaft”, das Lieblingsprodukt aller Einwanderungsbefürworter.