Man glaubt nicht, was alles möglich ist, wenn eine Person die Gesetze kennt und zu ihren Gunsten auslegen darf: Ein Mann, der seinen Wohnsitz in Österreich hat, war in der Schweiz erwerbstätig und hatte dort auch über mehrere Jahre einen Aufenthalt. In diesem Zeitraum bezog er nach Ende seiner Beschäftigung von der Schweiz Arbeitslosengeld. Als die Leistung erschöpft war, zahlte ihm die Schweiz viereinhalb Jahre lang Sozialhilfe.
Der Mann zog anschließend nach Österreich, wo er Arbeitslosengeld und Notstandshilfe beantragte. Nach einem Rechtsstreit, der bis zum Höchstgericht ging, muss ihm das AMS tatsächlich die Notstandshilfe bezahlen. Diese Leistung wird grundsätzlich nur zwölf Monate lang gewährt, kann aber immer wieder beantragt werden. Kurz ausgedrückt: Ein Staat muss Sozialleistungen einer Person gewähren, die aber in das System eines anderen Staats eingezahlt hat.
Wie ist das alles möglich?
Grundsätzlich ist die Notstandshilfe eine Leistung, die beantragt werden kann, wenn in Österreich der Anspruch auf das Arbeitslosengeld erschöpft ist. Man hat fünf Jahre Zeit, um diese Leistung zu beantragen. Der Mann hatte einst ein Dienstverhältnis in Österreich. Allerdings endete dieses am 31. Dezember 1987. Im Jahr 1988 habe er zunächst Arbeitslosengeld in Österreich bezogen, in der Folge sei er in Deutschland unselbständig erwerbstätig und zeitweise arbeitslos gewesen. Ab April 2005 sei er in der Schweiz unselbständig erwerbstätig und zuletzt wieder arbeitslos gewesen. Seine in Österreich wohnhafte Familie besuchte er unregelmäßig. Vom 27. Juli 2007 bis zum 28. Jänner 2009 und vom 9. bis zum 24. Juli 2009 habe er Taggeld aus der Arbeitslosenversicherung in der Schweiz bezogen, dieser Anspruch sei mit 24. Juli 2009 wegen Ablaufs der Rahmenfrist erschöpft gewesen. Anschließend sei ihm von der Schweiz vom 25. Juli 2009 bis zum 14. Jänner 2014 Sozialhilfe gewährt worden. Der Mann zog wieder zu seiner Familie nach Österreich. Er hatte daher von der Schweiz nicht mehr Anspruch auf Sozialhilfe. Für den Zeitraum ab dem 14. Jänner 2014 forderte er vom AMS Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe.
Gerichte auf der Seite des AMS
Das AMS verweigerte ihm jede Leistung. Vor allem auch deswegen, da er in Österreich zuletzt bis 31. August 1988 Arbeitslosengeld bezogen habe und die Frist für den Antrag der Notstandshilfe lange verstrichen gewesen sei. Der Mann klagte und scheiterte in erster Instanz. Auch das Verwaltungsgericht als Berufungsgericht entschied zugunsten des AMS. Allerdings drehte der Verwaltungsgerichtshof als Höchstgericht das Erkenntnis um.
Antrag fristgerecht eingebracht
Denn das Arbeitslosengeld, das in der Schweiz bezogen worden war, gelte als gleichartig zur österreichischen Leistung. Somit sei die Leistung, die der Mann von der Schweiz bezogen hat, so zu werten, als ob sie von Österreich bezogen wurde. Nachdem der Bezug im Juli 2009 erschöpft gewesen war, aber der Mann im Jänner 2014 in Österreich einen Antrag stellte, hat er die Frist von fünf Jahren, in der man die Notstandshilfe beantragen kann, eingehalten.
So will es das Gesetz, und Schuld ist die EU mit ihrer Verordnung 883/2004. Über diese hat unzensuriert mehrmals berichtet, da diese Österreich verpflichtet, Familienleistungen für Kinder zu bezahlen, die in einem anderen Staat wohnen. Die Schweiz ist weder Mitglied der EU, noch des EWR. Sie hat sich allerdings verpflichtet, die entsprechenden Verordnung anzuwenden. Wenngleich es ein paar Klauseln gibt, die im Freizügigkeitsabkommen vereinbart wurden. So muss die Schweiz ihre Hilfslosen-Entschädigung nur an Personen bezahlen, die in der Schweiz wohnen. Dies hat aber zur Folge, dass Grenzgänger aus Österreich, die ausschließlich von der Schweiz eine Rente beziehen, aber in Österreich wohnen, kein Pflegegeld erhalten. Und die Schweiz zahlt auch nichts.
Die Verordnung koordiniert auch Leistungen bei Arbeitslosigkeit. Arbeitslosengeld muss grundsätzlich nicht jener Staat bezahlen, in dem eine Beschäftigung ausgeübt wurde, daher auch dort Steuern und Sozialversicherungsbeiträge bezahlt wurden. Zahlen muss jener Staat, in dem der Arbeitslose tatsächlich wohnt. Somit hat ein Grenzgänger, der in Staat A wohnt, aber in Staat B arbeitet, Anspruch auf Arbeitslosengeld von Staat A. Der Beschäftigungsstaat refundiert dem Wohnstaat nur teilweise die Leistungen. Wer die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Sachen Notstandshilfe lesen will: Die Geschäftszahl lautet Ra 2014/08/0042 und ist wie folgt abrufbar.