Alexander Van der Bellen / Herbert Kickl / Buch

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat mit Herbert Kickl niemals über seine Entlassung als Innenminister gesprochen. Zuvor, so Kickl, habe er wegen jeder Kleinigkeit angerufen.

4. Dezember 2021 / 08:49 Uhr

FPÖ-Parteichef Herbert Kickl zu den politischen Vorgängen rund um die Veröffentlichung des “Ibiza-Videos”

Im Buch von Christian Hafenecker mit dem Titel „So sind wir“ kommt auch FPÖ-Parteichef Herbert Kickl zu Wort. Zwei Jahre nach der „Ibiza-Video“-Veröffentlichung erinnert sich Kickl an die politischen Vorgänge zur Zeit, als er Innenminister der Republik Österreich war.
Van der Bellen agierte wie ein Agent der ÖVP
Bemerkenswert war für Kickl insbesondere, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Begehrlichkeiten der ÖVP voll unterstützt habe. In dieser ganzen Zeit, vom Auftauchen des „Ibiza-Videos“ bis zur Angelobung der Regierung Bierlein, habe er wie ein Agent der ÖVP gehandelt. Kickl sagt:

Wenn wir heute anhand seines Kalenders vermuten müssen, dass Van der Bellen über das Video schon vorher informiert war, braucht es einen nicht zu wundern, mit welcher Geschwindigkeit er die Regierung „Kurz II“ aus dem Hut gezaubert hat.

Regierung „Kurz II“ angelobt, ohne Parlament zu fragen
Einmalig in der Geschichte dieser Republik: Van der Bellen habe alle neuen Minister angelobt, ohne zu fragen, ob es für sie überhaupt eine parlamentarische Mehrheit gäbe. Das sei entweder ein peinlicher und für einen so erfahrenen Politiker wenig wahrscheinlicher Anfängerfehler – oder aber es sei eine reine Gefälligkeit gegenüber der ÖVP gewesen.
Laut Kickl habe sich Van der Bellen zum Lobbyisten für einen ÖVP-Kandidaten als Innenminister gemacht. Er habe sich immer gefragt, ob es sich dabei um eine Art Gegengeschäft für Van der Bellens Unterstützung bei der Bundespräsidentenwahl durch die ÖVP gehandelt habe – oder zumindest um die sprichwörtliche Karotte für die nächste Hofburg-Wahl.
Strache bittet Kickl ins Vizekanzleramt
Einen Tag vor der Veröffentlichung des „Ibiza“-Videos – am Donnerstag, dem 16. Mai 2019 – ersuchte Strache, „dass wir ins Vizekanzleramt kommen sollen“, so Kickl. An diesem Donnerstag hatte Kickl eine Fragestunde im Parlament zu absolvieren, anschließend sei er dann ins Vizekanzleramt gefahren, wo er erfahren habe, dass eine Medienanfrage vorliege – und zwar von Journalisten der Süddeutschen Zeitung und des Spiegel. Es sei die Rede davon gewesen, dass sowohl Strache diese Anfragen bekommen hätte als auch Johann Gudenus. Und es sei darüber diskutiert worden, wie man mit diesen Anfragen umgehen solle. Sollte man sie im Detail beantworten oder eine pauschale Antwort geben?
„An ein Video habe ich damals nicht gedacht“
Zu diesem Zeitpunkt habe er, so Kickl, zum ersten Mal erfahren, dass etwas Konkretes im Raum stünde, wobei in den Fragen der Journalisten selbst von einem Video keine Rede gewesen sei. Vielmehr habe es sich um seltsame Formulierungen gehandelt, aus denen man selbst nicht schlau geworden sei. Kickl sagte:

An ein Video habe ich damals nicht gedacht. Das sei zwar eine von vielen Möglichkeiten gewesen, aber nicht die wahrscheinlichste.

Aufgeregter Gudenus im Vizekanzleramt
Strache selbst habe zwar davon gesprochen, dass es einen langen Abend auf Ibiza gegeben habe und dass diesen Abend vielleicht jemand aufgezeichnet haben könnte, „aber ich glaube nicht, dass er selbst damit gerechnet hat, dass da ein Video kommt“, ist Kickl bis heute überzeugt. Ziemlich aufgeregt sei bei dieser Besprechung im Vizekanzleramt Gudenus gewesen. Dazu Kickl:

Ich vermute, dass er zu diesem Zeitpunkt schon geahnt hat, dass etwas Gröberes kommen wird.

Kurz hatte wegen seiner Oma für Strache keine Zeit
Am Vorabend der Video-Veröffentlichung habe Strache versucht, ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz zu erreichen. Er wollte, so Kickl, den Kanzler vorher informieren, dass etwas kommen könnte. Doch Kurz habe Strache nur ausgerichtet, dass er „wegen seiner Oma“ keine Zeit habe, mit ihm zu reden. Zur Verwunderung aller, denn Strache habe Kurz um ein dringendes Gespräch gebeten. Kickl meint dazu:

Das ist in der Nachbetrachtung ein Indiz dafür, dass Sebastian Kurz zu diesem Zeitpunkt vom Video schon gewusst hat.

„Diese Bilder bringst du nicht mehr weg“
Kickl habe dann, wie viele Österreicher auch, das Video am nächsten Tag, Freitagabend, zu sehen bekommen. Er sei im Innenministerium gewesen, erinnert sich Kickl, und habe sich dort ein paar Sequenzen angeschaut und gedacht:

Das ist ja schrecklich. Diese Bilder bringst du nicht mehr weg.

Danach sei er ins Vizekanzleramt zu Strache gegangen. Es habe keine Gegenstrategie gegeben, „da alle von der Rolle waren“. Es sei aber sehr rasch seine Überzeugung gewesen, dass er dem damaligen Vizekanzler Strache sagen müsse, „dass sich das alles nicht ausgeht“. Denn es wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, mit dieser Geschichte im Gepäck in einer Regierung weiterzuarbeiten.
Ablaufplan im Bundeskanzleramt vereinbart
An diesem Freitagabend gab es dann noch eine Zusammenkunft mit Sebastian Kurz im Bundeskanzleramt, wo auch dessen Berater Stefan Steiner anwesend war. Dort sei darüber gesprochen worden, dass Strache Schritte setzen werde – dass er zurücktrete sowohl in der Funktion als Vizekanzler als auch als Parteiobmann der FPÖ und dass er Norbert Hofer als Nachfolger vorschlagen werde. Man habe auch einen Ablaufplan für den nächsten Tag vorbereitet – dass es zuerst eine Pressekonferenz mit Strache geben solle, bei der er seinen Rücktritt erklärt. Die zweite Pressekonferenz mit einer zeitlichen Verzögerung von ungefähr einer Stunde sollte Kanzler Kurz geben. Kickl erinnert sich:

Was mich am meisten überrascht hat, war, wie ruhig und gefasst Kurz und Steiner waren. Mit zeitlichem Abstand betrachtet, spricht es dafür, dass sie vorher informiert waren.

Notizen auf einem Pizzakarton
Am Samstag nach Straches Rücktritts-Pressekonferenz sei man zusammengesessen und habe gewartet. Irgendwann sei eine Ticker-Meldung in der Tiroler Tageszeitung erschienen, die lautete:

Auch Rücktritt des Innenministers gefordert.

Daraufhin habe es regen Telefonkontakt zwischen Norbert Hofer und Stefan Steiner, dem Berater von Sebastian Kurz, gegeben. Notizen wurden in der hektischen Stimmung auf einen Pizzakarton gemacht. Kickl selbst sei dann einen Schritt zurückgegangen und habe gemeint:

Na gut, wenn es den Erhalt der Koalition dient, dann schicken wir einen anderen Freiheitlichen ins Innenministerium und dann brauchen sie sich über mich nicht den Kopf zerbrechen. Dann nehme ich mich aus dem Spiel.

Aber auch das war der ÖVP nicht genug. Die Schwarzen wollten partout das Innenministerium zurück. Weil die FPÖ aber ihr Herzstück der Regierungsarbeit nicht herausreißen lassen wollte, ließ die ÖVP die Koalition platzen.
„Unser größter Fehler war, dass wir der ÖVP vertraut haben“
In der Nachbetrachtung der Ereignisse rund um den 17. Mai 2019 sagt Kickl heute:

Ich glaube, wir haben einen großen Fehler gemacht. Wir haben der ÖVP im Zusammenhang mit dem Ablauf, wie wir die gemeinsame Regierung wieder flottbekommen, vertraut. Wir hätten das nicht tun dürfen, sondern hätten Kurz als Ersten die Erklärung abgeben lassen müssen. Dann wäre diese Möglichkeit des Drucks auf die FPÖ und der anschließenden Selbstinszenierung für Kurz nicht vorhanden gewesen. Aber wir waren eigentlich nach den Gesprächen am Vorabend und in der Früh davon überzeugt, dass man mit Kurz einen vertrauensvollen Umgang haben kann und dass er ein ehrliches Interesse an der Fortführung der Koalition hat. Das war der Fehler: ihm zu vertrauen.

Fortsetzung folgt: Lesen Sie am Montag über das Projekt „Ballhausplatz“, über seltsame Chat-Protokolle und „zufällige“ Personalentscheidungen.
Das Buch von Christian Hafenecker ist im Verlag Frank&Frei erschienen und zum Preis von 19,90 Euro im Frank und Frei Verlag zu bestellen.

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