Der Verfassungsgerichtshof macht mit seiner jüngsten Entscheidung zur Mindestsicherung Neu wieder einmal (Einwanderungs-)Politik, anstatt Recht zu sprechen. Er widerspricht damit dem Gebot, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Das Erkenntnis ist im Kern eine Diskriminierung österreichischer Staatsbürger, die jenes System finanzieren, das andere nun ohne jede Eigenleistung weiterhin in vollem Ausmaß in Anspruch nehmen dürfen.
Kommentar von Dr. Susanne Fürst
Die Sozialhilfe war stets als letztes soziales Netz für jene österreichischen Staatsbürger gedacht, die bereits viele Jahre in unser Solidarsystem eingezahlt haben und unverschuldet in eine Notlage gekommen sind. Diese sinnvolle soziale Einrichtung wurde in den letzten Jahren zunehmend ihres ursprünglichen Zwecks beraubt, da die Zahl ausländischer Bezieher stetig stieg und die Kosten auf eine Milliarde Euro explodierten.
2018 sah die Situation folgendermaßen aus: Rund 290.000 Personen bezogen Mindestsicherung in Österreich, wobei die österreichischen Staatsbürger weniger als die Hälfte (47 Prozent) ausmachten; 40 Prozent kamen aus Drittstaaten, sieben Prozent aus der EU und bei den restlichen fünf Prozent ist die Staatsangehörigkeit nicht bekannt; 35 Prozent hatten einen Status als Asylberechtigte oder subsidiär Schutzberechtigte. Fast die Hälfte der Bezieher befinden sich im besonders großzügig ausschüttenden Wien (2018 rund 140.000); dort ist die Bezugsquote am höchsten und die Bezugsdauer am längsten. Angesichts dieser Fakten von einem „Sozialamt für die ganze Welt“ zu sprechen, ist wohl keine Übertreibung mehr.
Sozialhilfe wird ins Heimatland geschickt
Es hat sich herausgestellt, dass viele ausländischen Bezieher einen (Groß)teil der Sozialhilfe nach Hause in ihr Heimatland schicken. Dieses Geld ist dort ein Vielfaches wert, und ganze Familien leben davon. Der leichte Zugang zu dieser Sozialleistung für Menschen aus Drittstaaten entwickelte eine enorme Sogwirkung und lockte immer mehr Menschen an, die einen solchen Geldregen in ihren Heimatländern nicht kennen.
Diese Tatsachen verlangten eine dringende Reparatur der Sozialhilfe, um die Einwanderung in unser Sozialsystem zu begrenzen und sie wieder ihrem ursprünglichen Sinn als Auffangnetz vorrangig für Staatsbürger zuzuführen. Die Reform der Mindestsicherung war daher eines der Kernprojekte der ÖVP/FPÖ-Bundesregierung. Sie beschloss 2018 ein Bundesgesetz über die „Grundsätze der Sozialhilfe“, das zum einen die unterschiedlichen Regelungen in den neun Bundesländern harmonisieren sollte und zum anderen mehr Anreize zur Arbeitsaufnahme setzen und die Integrationsleistung Eingewanderter einfordern wollte.
VfGH hob wesentliche Grundsätze der neuen Sozialhilfe auf
Ein honoriges und selbstverständliches Anliegen würde man meinen, das auf wenig bis gar keinen Widerstand – zumindest seitens der Höchstgerichte – stoßen sollte. Doch das Gegenteil ist der Fall: Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hob gestern, am 17, Dezember, zwei Regelungen der Mindestsicherung Neu – zum einen die Festlegung eines Höchstsatzes für Kinder und zum anderen die Verknüpfung der Mindestsicherung mit rudimentären Sprachkenntnissen – auf.
Sozialhilfe brachte für Familien zum Teil mehr als Arbeitseinkommen
Die reformierte Mindestsicherung legte für Kinder einen Höchstsatz fest, der für das erste Kind 25, für das zweite Kind 15 und für das dritte und jedes weitere Kind fünf Prozent der Ausgleichszulage betrug. Die Staffelung hatte den Grund, zu verhindern, dass Familien, die Sozialhilfe beziehen, das gleiche (oder sogar ein höheres) „Einkommen“ haben wie Familien, in denen es ein Arbeitseinkommen gibt. Zudem hätte nach der Neuregelung z.B. eine fünfköpfige Familie immer noch mehr als 2.000 Euro netto bekommen; keine Selbstverständlichkeit für Familien, in denen etwa nur ein Elternteil berufstätig sind. Der VfGH sah jedoch darin eine „sachlich nicht gerechtfertigte Schlechterstellung von Mehrkindfamilien“, die dazu führen könnte, dass der notwendige Lebensunterhalt bei größeren Familien nicht mehr gewährleistet werden kann.
VfGH sieht Arbeitschancen auch ohne Deutschkenntnisse
Zudem sei laut dem VfGH die Verknüpfung des vollen Bezugs der Sozialhilfe an den Nachweis von Sprachkenntnissen eines gewissen Niveaus unzulässig. Die nun aufgehobene Regelung sah vor, dass Personen ohne den Nachweis von Deutschkenntnissen auf Niveau B1 oder Englischkenntnissen auf C1 nur 65 Prozent der regulären Leistung zustehen. Mit dem Rest war geplant, als Sachleistung Sprachkurse zu finanzieren, um die Vermittelbarkeit der Ausländer ohne hinreichende Sprachkenntnisse zu erhöhen. Der VfGH verstieg sich sogar zur Aussage, dass die Verbesserung der Sprachkenntnisse keine erhöhte Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt bringen würde, denn es gäbe ja viele Beschäftigungsmöglichkeiten, bei denen man keine Deutschkenntnisse brauche (!). Dass im Vorfeld sowohl die Wirtschaftskammer, als auch die Industriellenvereinigung diese Anhebung des Sprachniveaus als sehr wichtigen Punkt der Reform bezeichneten, rührt den VfGH nicht. Die Richter sind anscheinend die besseren wirtschaftspolitischen Experten und Kenner des freien Arbeitsmarktes!
Grundrecht auf Gleichheit bedeutet nicht gleiche Behandlung!
Der VfGH erklärte beide Regelungen wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz als verfassungswidrig. Er setzt dabei eine Judikaturlinie fort, die dem Gesetzgeber zunehmend jeden rechtspolitischen Gestaltungsspielraum nimmt und dem Gleichheitssatz seinen ursprünglichen Sinn raubt. Das Grundrecht auf Gleichheit bedeutete nie, dass alle Menschen in allen Fällen gleich behandelt werden müssen, sondern ganz im Gegenteil, verlangt er bei Vorliegen von sachlichen Unterschieden differenzierende Regelungen („Gleiches ist gleich, Ungleiches ungleich“). Nur auf diese Weise lässt es sich exemplarisch begründen, dass Frauen im Unterschied zu Männern keine verpflichtende Zeit beim Bundesheer absolvieren müssen. Die sachliche Rechtfertigung für die Differenzierung lag darin, dass Frauen Kinder bekommen und dadurch ihren Beitrag für den Staat und die Gesellschaft leisten und zudem berufliche Ausfallszeiten erleben.
Wer lange eingezahlt hat, soll mehr bekommen
Die sachliche Begründung für eine unterschiedliche Behandlung von Staatsbürgern und Personen aus Drittstaaten liegt auf der Hand und entspricht dem Hausverstand, der in der höchstgerichtlichen Judikatur zunehmend außer Kraft gesetzt wird. Die Ausschüttung von Sozialleistungen ist prinzipiell ein Privileg der Staatsbürger, die zu einem erheblichen Teil über Jahrzehnte in das auf einem Solidarsystem basierenden System einzahlen. Daraus können sie im Bedarfsfall Leistungen beziehen (ein Geben und Nehmen!). Dieses System muss prinzipiell für jene verschlossen sein, die in dieses System noch keinen Tag eingezahlt haben, jedoch in vielen Fällen vom ersten Tag an daraus Leistungen beziehen wollen (also ein Nehmen ohne Geben!). Es wäre also auch eine viel drastischere Regelung als die Mindestsicherung Neu zu Gunsten der Staatsbürger und zu Lasten von Ausländern mit dem Gleichheitssatz vereinbar.
Europäischer Gerichtshof assistiert bei Benachteiligung der EU-Staatsbürger
Leider reiht sich dieses Erkenntnis bereits in eine Serie völlig unverständlicher höchstgerichtlicher Urteile zur Mindestsicherung ein. Der VfGH hat ja bereits eine niederösterreichische Regelung verhindert, wonach eine Deckelung für Großfamilien und eine Wartefrist von fünf Jahren für ausländische Bezieher vorgesehen war. Und der Europäische Gerichtshof assistiert, indem er bereits in einer Entscheidung zu einer oberösterreichischen Regelung den Grundsatz festlegte, dass die Mindestsicherung Flüchtlingen grundsätzlich in gleicher Höhe zu gewähren ist wie den eigenen Staatsangehörigen. Eine schreiende Ungerechtigkeit und Verletzung der EU-Staatsbürger in ihrem Grundrecht auf Gleichheit!
Dr. Susanne Fürst ist Rechtsanwältin und seit 2017 Nationalratsabgeordnete der FPÖ. Im Freiheitlichen Parlamentsklub ist sie Obmannstellvertreterin und für die Bereiche Verfassung, Menschenrechte und Geschäftsordnung verantwortlich. Fürst schreibt für unzensuriert.at regelmäßig die Kolumne „Rechtsansicht“.