Wenn morgen die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union zum Gipfel zusammenkommen, beginnt das heiße Match um neue Posten und Ämter für die von den Mitgliedstaaten entsandten Politiker.
Die österreichische Bundesregierung schickt nach langem Hin und Her Wissenschaftsminister Johannes Hahn (ÖVP) als EU-Kommissar nach Brüssel und einigte sich damit auf den schwächsten gemeinsamen Nenner. Auch in anderen Ländern führte das fröhliche Postenkarussell zu vorabsehbaren Wunschäußerungen. Der Luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker würde gerne Ratspräsident werden, jedoch nur wenn er “ambitionierte Ideen” verwirklichen könne. Dasselbe gilt auch für den ehemaligen britischen Premier Tony Blair, der mittlerweile allerdings nicht mehr als Favorit gehandelt wird.
Ganz egal wer welches Amt bekommen wird, die Crux an der Sache ist folgende: Nur mit der Ratifizierung des Lissabon-Vertrags durch das letzte verbliebene Mitgliedslandes können die hohen politischen Ämter neu vergeben werden. Und da verhält sich Tschechien wie ein kleines gallisches Dorf – was das Spitzenpostenkarussell derzeit stark einbremst. Denn für den europaskeptischen tschechischen Präsidenten Vaclav Klaus ist seine fehlende Unterschrift noch längst nicht auf demPapier.
Klaus verlangt in Hinblick auf mögliche Entschädigungszahlungen an vertriebene Sudetendeutschen eine Ausnahmeklausel von der EU- Menschenrechtscharta – und hat seine Ratifizierung des Lissabon-Vertragswerkes daran gebunden. Eine Fußnote im Reformvertrag, wie sie auch Polen und Großbritannien durchgesetzt haben, soll das tschechische Volk vor “willkürlicher Enteignung” schützen. FPÖ-Vertriebenensprecherin Anneliese Kitzmüller hat diese Argumentation als menschenverachtend und pauschale Verhöhung der Heimatvertriebenen auf höchster politischer Ebene bezeichnet.
Im Unterschied zu Großbritannien und Polen geht es nämlich nicht um die Einführung neuer sozialer Rechte, die Klaus verhindern will, sondern vielmehr um die Legitimierung eines Völkermordes an 240.000 Sudetendeutschen, die während ihrer Vertreibung zu Tode gekommen sind. Damit sollen die 143 Benes-Dekrete, die von 1940 bis 1945 erlassen wurden und im Jahre 1946 ihre Anwendung erfuhren, nachträglich auf europäischer Ebene gebilligt werden. Und Tschechien schafft sich damit eine "elegante Lösung", um aus der in der Bevölkerung heftig umstrittenen Annahme des Vertrages noch erhobenen Hauptes auszusteigen.
Weil die Eurokraten bereits seit dem Abstimmungs-Nein der Iren in Angstneurosen um ihr unlesbares Vertragswerk zittern, wird es wohl ein Entgegenkommen am Verhandlungstisch geben. Auch weil führende EU-Politiker wie Kommissions-Vizepräsident Günther Verheugen oder Ratspräsidentin Cecilia Malmström bereits eingestehen, dass Tschechien die verlangte Ausnahme aus der EU-Grundrechtecharta bekommen wird. Selbst für die Slowakei, die dieselbe Ausnahme gefordert, den Vertrag aber bereits ratifiziert hat, wird es eine Lösung geben. Der slowakische Premier Robert Fico drohte sogar, die Ausnahme für Prag blockieren zu wollen, sollte seinem Land nicht dieselbe Regelung angeboten werden.
Dennoch wird die absehbare Ausnahmeklausel in welcher Form auch immer noch für gehörigen Zündstoff sorgen – nämlich wenn es darum geht, ob der Zusatz eine Vertragsänderung bewirkt und es damit zu einer neuerlichen Ratifizierung des Reformvertrags kommen muss. Ein Präzedenzfall in Irland, wo die Regierung ein nachträgliches Protokoll ausgehandelt hat, muss zwar von allen EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert werden, eine neuerliche Unterzeichnung des Lissabon-Vertrages entfällt jedoch – da das Protokoll bei der nächsten EU-Erweiterung ohnehin mit der Gesamtänderung der Verträge mitratifiziert werden kann. Der freiheitliche EU-Abgeordnete Andreas Mölzer hat die Sudetendeutschen bereits aufgefordert, das Zeitfenster zwischen Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags und der nächsten Erweiterungsrunde für Klagen auf Wiedergutmachung zu nützen.