Knapp ein Jahr ist vergangen, seit der Dritte Präsident des Nationalrates eine Volksabstimmung über die Rückkehr Südtirols zu Österreich vorgeschlagen hat. Martin Graf verwies auf das vorenthaltene Selbstbestimmungsrecht und die Unzulänglichkeiten der Autonomie. Immer noch würden faschistische Denkmäler durch den Staat saniert. Italiens Außenminister Franco Frattini hatte sich daraufhin bei Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) beschwert, die sich wenig überraschend von Graf distanzierte.
Grafs Aussagen enthielten inhaltlich wenig Zündstoff, waren jedoch gerade wegen des Sommerlochs und des künstlich hochstilisierten Politwirbels brisant. „Den Südtirolern wird seit dem Ersten Weltkrieg das Selbstbestimmungsrecht vorbehalten. Während die gleichen Rechte für Slowenien oder Kroatien gelten, werden sie der deutschen Bevölkerung in Europa aus politischen Überlegungen heraus vorenthalten“, meinte der FPÖ-Politiker im Sommer 2009. Frattini (Bild rechts) schrieb in dem Brief an Prammer, dass diese Erklärungen absolut unannehmbar seien, "sowohl was ihren Inhalt als auch was die institutionelle Bedeutung der Persönlichkeit betrifft, von der sie getätigt wurden.“ Prammer distanzierte sich daraufhin in einem Antwortschreiben von den Aussagen Grafs und relativierte die politische Funktion des Ddritten Nationalratspräsidenten, indem sie ihm eine „Minderheitenposition“ zuschrieb.
Als der italienische Außenminister der italienischsprachigen Südtiroler Zeitung „Alto Adige“ im Juli ein Interview gab und sich dabei zur Selbstbestimmung folgendermaßen äußerte: „Sie wird nie ein Thema für Italien sein, und – wie wir wissen – auch nie ein Thema für Österreich“ gab es, ebenso wenig überraschend, keine Reaktion der Regierungspolitiker. Nur der freiheitliche Südtirolsprecher im Parlament, Werner Neubauer, reagierte erbost darüber, dass offensichtlich geheime Absprachen zwischen Frattini, Außenminister Michael Spindelegger und dem Tiroler Landeshauptmann Günter Platter (beide ÖVP) existieren, um die Interessen der deutschsprachigen Bevölkerung zu torpedieren.
Neubauer war es auch, der vor kurzem eine parlamentarische Anfrage an Spindelegger richtete, ob das Selbstbestimmungsrecht auch für Südtirolerinnen und Südtiroler gelte und nicht nur für Letten, Esten, Litauer, Slowenen, Kroaten, Kosovoalbaner und andere Völker. Er wollte wissen, ob sich Österreich zum Selbstbestimmungsrecht entsprechend verpflichtet habe und wann das zwingende, unverzichtbare und unverjährbare Recht den Südtirolern eingeräumt werde. Vom Außenminister kam dazu nur eine verhaltene Antwort. Österreich sei zwar an die vertragliche Bestimmungen, einschließlich des normierten Selbstbestimmungsrechts, gebunden, ob dies allerdings als „zwingendes Recht“ zu qualifizieren sei, sei in der völkerrechtlichen Lehre umstritten. Die Bundesregierung lege auch weiterhin auf eine einvernehmliche Vorgangsweise mit Italien Wert und stehe deshalb mit der Südtiroler Landesregierung, die sich für die Festigung und Weiterentwicklung der dem Selbstbestimmungsprinzip verpflichteten Autonomie einsetze, in laufendem Kontakt.
Konkret heißt das, am Autonomieprinzip wird festgehalten, von einer tatsächlichen Selbstbestimmung durch eine Volksabstimmung für die Tiroler Einheit wird abgesehen.
Foto: Abigail Verroneau