Die polemische Weise, mit der ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz die Ungarn-Dokumentation im Publikumsrat verteidigte, hat nun die Beschwerdeführerin Eva Maria Barki zum Anlass genommen, einen offenen Brief an Wrabetz zu richten. Unzensuriert.at bringt das Schreiben in voller Länge:
Die von mir beim Publikumsrat des ORF eingebrachte Beschwerde betreffend die Dokumentation "Nationale Träume – Ungarns Abschied von Europa?" und die Sendung Club2 "Ungarn – Demokratie Ade?" habe ich Ihnen mit Schreiben vom 17.10.2012 übermittelt. Eine Antwort habe ich nicht erhalten.
Auch in der Plenarsitzung des Publikumsrates des ORF vom 11.12.2012 sind Sie auf den sehr umfangreichen und nicht mit Wertungen, sondern mit Fakten ausführlich begründeten Inhalt der Beschwerde nicht eingegangen. Stattdessen haben Sie in tatsachenwidriger Weise die Beschwerde als organisierte Aktion dargestellt und sich gleichzeitig besorgt über den Protest "eines ungarischen Staatssekretärs" gezeigt, der die Sendung als Angriff auf Ungarn bezeichnet habe. Hiedurch haben Sie versucht, die Beschwerde in polemischer Weise und tatsachenwidrig als Auftragswerk der ungarischen Regierung darzustellen, um damit Stimmung im Publikumsrat zu machen, was Ihnen auch gelungen ist.
Österreichische Fernsehteilnehmer protestierten
Wenn ich auch nicht einsehe, weshalb der ungarischen Regierung das Recht abgesprochen werden soll, gegen unrichtige und verzerrende Darstellungen Ihrer Tätigkeit zu protestieren, so erlaube ich mir doch in aller Deutlichkeit festzuhalten: Ich habe die Beschwerde im eigenen Namen und mit Unterstützung von einigen hundert österreichischen Fernsehteilnehmern eingebracht. Da ich weder Mitglied irgendeiner Partei im In- oder Ausland bin, zur ungarischen Regierung oder zu der die Regierung tragenden Partei der Fidesz auch nur die geringste Verbindung habe, muss ich davon ausgehen, dass Sie die Tatsachenwidrigkeit Ihrer Behauptung kennen mussten.
Mein Engagement für die Einforderung von Grund- und Freiheitsrechten habe ich nicht nur zur Zeit des Kommunismus – unter anderem als Mitbegründerin des Ungarischen Demokratischen Forums im Jahre 1988 – unter Beweis gestellt, sondern fühle mich auch heute verpflichtet, gegen jede Form von Diktatur, auch Meinungsdiktatur, aufzutreten. Offenbar übersteigt es die Vorstellungskraft vieler, dass sich jemand unbeeinflusst von Parteien oder sonstigen Machtfaktoren und unentgeltlich für Ziele einsetzt, die ausschließlich das eigene Gewissen gebieten.
Demonstrant aus dem Saal verwiesen
Besorgnis erregend bei der Plenarsitzung vom 11.12.2012 war nicht nur Ihre Wortmeldung, sondern auch der Umstand, dass ein Demonstrant, der während der Behandlung des Berichtes des Beschwerdeausschusses eine Tafel mit der Aufschrift "Stopp ORF linker Meinungsterror" hochhielt, auch dann noch vom Vorsitzenden des Saales verwiesen wurde, als er die Tafel bereits weggelegt hatte. Sie haben die mit der Begründung, dies sei kein Ort für politische Kundgebungen, erfolgte Ausweisung aus dem Saal und damit die Einschränkung der Meinungsfreiheit widerspruchslos zugelassen. Ich darf die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte wie folgt in Erinnerung rufen: "Gerade bei Diskussionen über Angelegenheiten des öffentlichen Interesses gibt es nur wenig Spielraum für Einschränkungen der Meinungsfreiheit (vgl RIS-Justiz RS0123666 [T4], RS0075696)." Nicht die Freiheit zur unrichtigen Darstellung von Tatsachen sondern die Freiheit zur Meinungsäußerung ist Inhalt des Grundrechtes!
Sehr geehrter Herr Generaldirektor, ich erwarte, dass Sie Ihre Äußerung, es handle sich bei den gegenständlichen Beschwerden um eine organisierte Aktion in Zusammenhang mit Interventionen der ungarischen Regierung zurücknehmen und hievon sämtliche Mitglieder des Publikumsrates und des Beschwerdeausschusses des ORF verständigen. Weiters bitte ich, Sorge dafür zu tragen, dass in Zukunft Protestkundgebungen bei öffentlich zugänglichen Sitzungen und Veranstaltungen des ORF, so ferne sie deren Ablauf nicht stören, nicht behindert und die Grundrechte auf Meinungsäußerungsfreiheit nicht verletzt werden.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Dr. Eva Maria Barki