Der Chefredakteur der staatlichen Wiener Zeitung, Reinhard Göweil, wurde Freitag Abend (für viele) überraschend seines Postens enthoben und fristlos gekündigt. Wie Wiener Zeitung-Geschäftsführer Wolfgang Riedler mitteilte, geschah dies “wegen eines anlassbedingten Vertrauensverlustes mit sofortiger Wirkung”. Die Abberufung Göweils geschehe “rein aus arbeitsrechtlichen Gründen und nicht aus politischer Räson”, so Riedler; wie auch die Kleine Zeitung berichtet
Göweil geht vor das Arbeitsgericht
Göweil sieht das etwas anders. “Das bestreite ich ganz entschieden. Jeder möge sich einen Reim darauf machen.” Auf Facebook sprach Göweil von einem “bloßen Vorwand” für die Abberufung. “Es wurde kein dienstlicher Vorwurf gemacht. Im kommenden Prozess wird diese Begründung wohl nachgeliefert werden müssen”, deutet der Betroffene eine Ablöse aus politischen Gründen an. Mainstream-Kollegen aus anderen Redaktionen sehen bereits eine gnadenlose schwarz-blaue Umfärbung kommen.
Sexuelle Belästigung als Kündigungsgrund?
Dass es seltsam wäre, wenn die SPÖ einen der Ihren opfern würde, ohne zu wissen, ob sie nicht vielleicht doch auch der künftigen Regierung angehören wird, bemerken naive linke Gemüter nicht. Eine andere Erklärung kommt dafür aus der ganz linken Ecke. Hanna Herbst vom VICE-Magazin schreibt auf Facebook, eine junge Journalistin beschuldige Göweil, sie sexuell belästigt zu haben. Auch die Gleichbehandlungsanwaltschaft habe das so gesehen, der Bund als Eigentümer daher sofort gehandelt. Gegenüber Herbst habe Göweil nicht reagiert. Es gilt die Unschuldsvermutung
Vorgänger Unterberger erfuhr über APA von Abberufung
Der im Mediengeschäft eher unbekannte Göweil, zuvor Ressortleiter der Kurier-Wirtschaftsredaktion, war 2009 ziemlich überraschend als Nachfolger des erfolgreichen Wiener Zeitung-Chefredakteurs Andreas Unterberger bestimmt worden. Unterberger und auch die Redaktion erfuhren damals über die APA (Austria Presse Agentur) vom Chefwechsel.
In diesem Fall handelte es sich ganz sicher um eine politische Umbesetzung, denn Unterberger war in der Redaktion geachtet, weil er das zuvor über drei Jahrhunderte langsam verstaubte “Amtsblatt” mit neuen, kritischen Redakteuren, neuer Blattgestaltung und nicht zuletzt seinem bis heute im Internet äußerst erfolgreichen “politisch unkorrekten Tagebuch” (damals als Leitartikel auf Seite 2) wieder auf die Überholspur brachte und den direkten Konkurrenten Standard und Presse viele Leser wegnahm. Seine Achillesferse: Er war unter Schwarz-Blau 2005 inthronisiert worden – also weg mit ihm. Die ÖVP hatte die Staatszeitung nach der Wahl 2009 völlig dem roten Koalitionspartner überlassen.
Rot schaffte an, Göweil brachte die Zeitung auf Linie
Unter der Ägide von Werner Faymann und dessen Medienminister Josef Ostermayer durfte Göweil, mit verbessertem Gehalt (gegenüber Unterberger) und neu eingerichteter Chefredaktion und Dienstwagen versehen, die Wiener Zeitung ganz nach “seinen” Vorstellungen (bzw. eher den roten Vorgaben) umgestalten – und da blieb kein Stein auf dem anderen. Ex-Wirtschafts-Ressortleiter Göweil löste nun ausgerechnet die Wirtschaftsredaktion in “seiner” Zeitung auf (der damalige Wiener Zeitung-Wirtschafts-Chef Hermann Sileitsch arbeitet heute pikanterweise im Kurier-Wirtschaftsressort) und verteilte die Themen auf politisch zuverlässige Ressorts.
Ganze Redaktionen wurden versetzt oder aufgelöst
Überall, wo es kritisch gegen die Roten ging, wurde beinhart gestrichen oder aufgelöst, Leute entfernt oder entmachtet. Weil in den TV-Kritiken allzu oft der ORF durch den Kakao gezogen wurde, strich Göweil von heute auf morgen die beliebte TV-Kolumne. Die im Wien-Ressort tätigen, als kritisch bekannten Redakteure wurden einfach in die Sportredaktion versetzt – dort können sie keinen (politischen) Schaden anrichten. Gleichzeitig bekam die Wien-Redaktion einen als SPÖ-Parteigänger bekannten Mitarbeiter als Chef und berichtet seither nur noch streichelweich über Wiener Belange. Der Presse und Informationsdienst der Stadt Wien (PID) könnte es nicht besser.
Altgedienten Mitarbeiter, der Krebs hatte, fristlos entlassen
Einen für die Wiener Zeitung über zehn Jahre in fast allen Ressorts tätigen, erfahrenen und engagierten Redakteur und Buchautor, der das Pech hatte, an Krebs zu erkranken (und kein roter Parteigänger zu sein), schickte Göweil mit einer fristlosen Entlassung wegen “Arbeitsverweigerung” in die Wüste, weil der Mitarbeiter nach seiner (unerwarteten) Genesung nicht mehr so konnte wie vorher. Die Journalistengewerkschaft übernahm den Fall und war entsetzt, dass sich der Betriebsrat der Wiener Zeitung nicht einmal pro forma für den Kollegen eingesetzt hatte – und erstritt für den 54-Jährigen nach eineinhalb Jahren Arbeitsgerichts-Verfahren zumindest eine finanzielle Abgeltung der Gemeinheit.
Nun knallen die Sektkorken
Jetzt darf Göweil, der nach Ablauf seines ersten Vertrages 2013 ohne Ausschreibung in seiner Position bestätigt worden war, selbst erleben, wie spannend so ein Arbeitsgerichtsverfahren sein kann, wenn man gegen ein Staatsunternehmen antreten muss. In der Redaktion sollen dem Vernehmen nach schon die Sektkorken knallen – denn Göweil war alles andere, nur nicht beliebt.