Der sogenannte Aufstand des Mahdi Muhammad Achmad im ausgehenden 19. Jahrhundert war der erste Auftritt einer islamistischen Bewegung unter den Augen der europäischen Öffentlichkeit. Sowohl der Tod des berühmten britischen Offiziers Charles Gordon Pascha sowie die Gefangenschaft mehrerer Europäer machten die Mahdisten und ihr sudanesisches Reich weit über die Grenzen des Orients hinaus bekannt. Zugleich war es aber auch einer der wenigen zumindest zeitweise erfolgreichen Aufstände gegen die fortschreitende Kolonisierung weiter Teile Afrikas. Mit dem Mahdi-Aufstand beschäftigt sich unser dieswöchiger Artikel aus der Unzensuriert-Serie zur Geschichte des Islamismus.
Der Islam im Sudan
Sudan war ursprünglich die Bezeichnung für einen Großraum, der sich von der Sahara bis zu den Tropen und vom Indischen bis zum Atlantischen Ozean erstreckt. Dieses Gebiet war erst im ausgehenden Mittelalter islamisiert worden, viele vorislamische religiöse Traditionen hielten sich bis weit in die Neuzeit hinein. Besonders Angehörige mystisch orientierter Sufibruderschaften waren als Vorreiter der Islamisierung erfolgreich, so dass diese Bruderschaften sich rasch ausdehnten und bis heute eine große Rolle im religiösen und politischen Leben spielen. Im Zentrum des religiösen Lebens standen Sufi-Scheiche, die ihre Gläubigen unterwiesen und Schüler ausbildeten. Diese Scheiche genossen teilweise höchste Verehrung, ihre Grabmäler wurden zu Pilgerstätten.
Ende des 18. Jahrhunderts bereiteten sich von der Arabischen Halbinsel ausgehend neue Bruderschaften den Weg, die eine Rückbesinnung auf den ursprünglichen Islam Mohammeds forderten und die traditionellen Rechtsschulen des Islam sowie deren Doktrin des “taqlid” (Nachahmung) ablehnten. Teilweise wurde auch die baldige Ankunft eines “Mahdi”, eines islamischen Erneuerers am Ende der Zeit, gepredigt. Eine der bekanntesten dieser neuen Bewegungen ist die von Muhammad ibn Ali as Sanusi begründete Sanusiya – im Westen besser als Senussi bekannt, die in Libyen großen Einfluss erlangte.
Die Kolonisierung des Sudan
Ab 1821 begann der ägyptische Herrscher Muhammed ali Pascha den Sudan entlang des Nil zu kolonisieren. Um die Stämme des Sudan besser kontrollieren zu können, versuchten die Ägypter, die Macht der Sufi-Scheiche zu brechen und an der Kairoer Azhar-Universität ausgebildete, traditionelle Gelehrte an ihrer Stelle zu etablieren. Um ihre expansive Politik zu ermöglichen, erhoben die Ägypter neue Steuern und begannen, Sudanesen – zunächst hauptsächlich Sklaven – für die Armee zu rekrutieren. Nach dem Bau des Suezkanals 1869 und dem darauf folgenden Staatsbankrotts Ägyptens 1875 geriet das Land immer stärker unter europäischen und insbesondere britischen Einfluss. 1877 verboten die Ägypter den Sklavenhandel, der im Sudan von großer wirtschaftlicher Bedeutung war. Ein Aufstand der Sklavenhändler wurde vom Generalgouverneur Charles Gordon Pascha niedergeschlagen.
Der Aufstieg des Mahdi
In dieser konfliktbeladenen Zeit vollzog sich der Aufstieg Muhammad Achmads zum Mahdi und zum Herrscher des östlichen Sudan. 1844 in eine nubische Familie geboren, trat Achmad 1861 einem sudanesischen Sufiorden bei und stieg schnell zum Scheich auf. Er scharte bei Reisen durch den Sudan Anhänger um sich und erbaute am Nil eine Moschee als Zentrum seiner Bewegung. Auf Initiative eines seiner neuen Anhänger, Abd Allahi ibn Muhammed, erklärte sich Achmad 1881 zum vielbeschworenen Mahdi und begann seinen Kampf für ein erneuertes muslimisches Großreich nach dem Vorbild des frühen islamischen Reiches. Die Stützen seines Aufstandes waren einerseits Stämme im heutigen Westen des Sudan sowie viele einflussreiche Kaufleute und Händler, für die das Verbot des Sklavenhandels große wirtschaftliche Einbußen mit sich gebracht hatte. Der Aufstand war in erster Linie gegen die ägyptische Herrschaft gerichtet und trug so von Anfang an antikoloniale Züge.
Nachdem mehrere kleinere Expeditionen zur Niederschlagung des Aufstandes gescheitert waren, konnten die Anhänger des Mahdi 1883 ihre ersten großen Erfolge erzielen. Nach der Eroberung der Provinzhauptstadt El Obeid wurde in der Schlacht von Scheikan eine angloägyptische Armee unter dem Kommando von William Hicks Pascha völlig zerschlagen und viele moderne Waffen erbeutet. Mit der Eroberung der ägyptischen Hauptstadt des Sudan, Khartum, 1885 war der Großteil des heutigen Sudan in den Händen des Mahdi. Insbesondere der Tod Gordon Paschas erregte große Aufmerksamkeit, ein britisches Entsatzheer war zwei Tage zu spät gekommen. Briten und Ägypter zogen sich daraufhin weitgehend aus dem Sudan zurück, der bis 1898 unter Herrschaft der Mahdisten bleiben sollte. Im Juni 1885 starb der Mahdi, Abd Allahi ibn Muhammed trat als Kalif seine Nachfolge an.
Die rigorose Herrschaft im Staat des Mahdi
Bereits mit der Wahl seiner Stellung als “Mahdi” hatte Muhammed Achmad das ambitionierte Programm vorgegeben, nicht nur Erneuerer sondern Oberhaupt des ganzen Islam zu sein und stellte damit eine Herausforderung für andere muslimische Herrscher dar. “Der Mahdi ist der Stellvertreter des Propheten und ich bin sein Nachfolger! Wer steht höher auf Erden als ich”, soll sein Nachfolger abd Allahi seine Herrschaft charakterisiert haben, so sein österreichischer Gefangener Rudolf Slatin Pascha in dem Werk über die Gefangenschaft bei den Mahdisten – “Feuer und Schwert im Sudan” (hier zu bestellen in der Buchhandlung Stöhr). Dementsprechend wurden christliche und animistische Stämme im Süden des Sudan brutal zwangsmissioniert.
Im Inneren errichteten die Mahdisten eine rigorose, puritanische Herrschaft gestützt auf die Macht der Armee und einzelner Stämme. Luxus galt als verwerflich, die Körperstrafen der Scharia wurden streng umgesetzt. Die fünfmalige Teilnahme am Gebet wurde zur Pflicht, die Sklaverei wieder eingeführt. Regelmäßig riefen der Mahdi und danach der Kalif zum heiligen Krieg auf und schilderten ihren Anhängern die Freuden des Paradieses. Der Kalif selbst hielt sich laut Augenzeugenberichten jedoch nicht an diese Vorschriften, sondern führte ein ausschweifendes Leben. “Kaum hatte der Chalifa sich die Alleinherrschaft gesichert, so dachte er daran, sich mit dem Glanz eines sudanesischen Sultans zu umgeben; dieser Glanz gipfelte in einem möglichst großartigem Harem”, schrieb der Tiroler Missionar Josef Ohrwalder.
Das Ende des Mahdireiches
1898 wurde die Armee der Mahdisten in der Nähe ihrer Hauptstadt Omdurman von einem anglo-ägyptischen Heer unter Horatio Kitchener vernichtend geschlagen. Die Schlacht von Omdurman demonstrierte eindrucksvoll die Überlegenheit europäischer Waffen und Taktik: Von 26.000 britischen und ägyptischen Soldaten fielen 28, während die Mahdisten bei bis zu 50.000 Kriegern 10.000 Tote zu beklagen hatten, ihre Armee war komplett vernichtet.
Vorausgegangen war dieser Schlacht eine Medienkampagne in Europa. Nach ihrer Flucht veröffentlichten die Österreicher Rudolf Slatin und Josef Ohrwalder auf Betreiben des britischen Geheimdienstes Bücher über ihre Gefangenschaft. Die Bücher wurden begünstigt durch das große europäische Interesse für Afrika schnell zu Verkaufsschlagern. So erfüllten sie auch den Zweck, die britische Öffentlichkeit für den bereits länger geplanten Feldzug in den Sudan zu mobilisieren.
Heiliger Krieg im Sudan?
War der Aufstand der Mahdisten ein heiliger Krieg für den Islam? Aus Sicht der Mahdisten jedenfalls, wenngleich er sich zunächst vor allem gegen die vom wahren Glauben abgefallenen Ägypter richtete und erst in zweiter Linie gegen deren christlich-europäische Schirmherren. In dieser Hinsicht war der Aufstand jedoch auch ein Aufbegehren gegen die ägyptische Fremdherrschaft und später auch europäische Einflussnahme im Sudan. Daneben waren die großen wirtschaftlichen Umwälzungen, die der Kampf gegen den Sklavenhandel verursachte, ebenfalls ein gewichtiger Beweggrund gerade für die Mittelschicht, sich dem Aufstand anzuschließen. Das Zusammenspiel religiöser, nationaler und ökonomischer Faktoren verlieh der Mahdibewegung eine besondere Schlagkraft, die bespielhaft für spätere islamistische Bewegungen sein sollte.
Doch aus europäischer Sicht handelte es sich bei dem Feldzug gegen die Mahdisten um eine Art heiligen Krieg. Winston Churchill – als junger Journalist Teilnehmer des Feldzuges gegen die Mahdisten – schildert die Herrschaft des Mahdi und noch mehr die seines Nachfolgers, des Kalifen als grausame orientalische Despotie. Für ihn und viele andere stand die christliche Zivilisation im Krieg mit heidnischer Barbarei.
Die Mahdisten im heutigen Sudan
Die vom Mahdi initiierte Glaubensbewegung, die Bewegung der Ansar (Helfer, angelehnt an frühe Helfer Mohammeds in Medina) existiert bis heute und ist weiterhin ein wichtiger Machtfaktor im Sudan. Muhammad Achmads ältester Sohn Sayyid Abd al Rahman al Mahdi ließ 1947 das von den Briten zerstörte Grabmal seines Vaters wiedererrichten und gründete die Hizb al Umma, die Nationale Umma Partei. Muhammad Achmed gilt als im Sudan als Nationalheld.
Die Bannerträger des Islamismus im Sudan sind inzwischen andere, von den Muslimbrüdern und den Wahhabiten beeinflusste Gruppen, die die sufisch geprägten Orden ablehnen. Dennoch bestehen zwischen der aktuellen islamistischen Herrschaft Omar al Bashirs und dem Staat des Mahdis Gemeinsamkeiten. Erneut beruht die Macht des Regimes auf der Armee und einzelnen – wenn auch anderen – Stämmen. Auch die Sittenstrenge ist nach Khartum zurückgekehrt ebenso wie der Kampf gegen die Ungläubigen im Süden des Sudan. So scheint der Islamismus über hundert Jahre nach dem Tod des Mahdi den Sudan wieder fest im Griff zu haben.
Am 1. Dezember lesen Sie: Die Entstehung des Salafismus – Reform und Radikalisierung
Bisher veröffentlicht:
Geburt Saudi-Arabiens: Der Wahhabismus – Ein Pakt in der Wüste
Islamismus – Die Herausforderung des Westens