Im Online-Standard findet sich seit gestern ein Artikel, der Kommentatoren auf der Facebook-Seite des Innenministeriums “Holocaust-Verharmlosung” vorwirft. Nach der Logik des Schreibers Fabian Schmid ist dieser Tatbestand erfüllt, sobald jemand Opfer gedenkt, die nicht jüdischer Abstammung sind. Schmid schreibt:
So schrieb eine Nutzerin, dass sie auch der “amerikanischen und australischen Ureinwohner und allen sonst benachteiligten Völkern dieser Welt” gedenke, ein anderer schlug mit dem Posting “keiner denkt an die 100 Millionen Indianer . komisch” in dieselbe Kerbe. Das ist eine Form der Holocaust-Relativierung, die negiert, dass die Nationalsozialisten eine industrielle und vollständige, mit staatlichen Ressourcen unterstützte Auslöschung jüdischer Mitbürger planten.
Auch der von einem anderen User gepostete Hinweis darauf, dass “unschuldige Frauen und Kinder bei Bombenanschlägen (Dresden, Hamburg, Wien) getötet” wurden, versucht, die in dieser Form einzigartige Ermordung einer religiösen Minderheit infrage zu stellen.
Die Mehrheit der Kommentatoren im Standard-Forum zeigt sich ähnlich empört wie der Journalist. Doch es finden sich auch einige Postings – jedenfalls weit mehr als beim Innenministerium -, die nach der Schmid’schen Logik wohl ebenso als “Holocaust-Verharmlosung” zu werten wären, nämlich:
Auch die Indianer wurden “industrielle” fast ausgerottet indem man ihre Existenzgrundlage gezielt fast ausrottete. Nur das Dritte Reich alleine zu benennen diskriminiert tatsächlich auch andere Ethnien.
Es ist zutiefst gefährlich, den Nationalsozialismus als eine Singularität des Bösen zu zelebrieren. Die menschlichen Abgründe, die sich damals auftaten, sind nicht speziell an Deutschland/Österreich, “die Nazis”, oder rechte Einstellungen gebunden. Man findet sie in JEDEM Menschen – mehr oder weniger. Selbst rudimentäre Kenntnisse des 20. Jahrhunderts (Kommunismus!), sollten das klar machen. Insofern ist die Relativierung (nicht die Verharmlosung!) absolut notwendig für ein profundes Verständnis. Die pathologische Fixierung auf die Nazi-Zeit ist eine bequeme Taktik, sich selber zu “den Guten” zu zählen, das Böse zu externalisieren und nicht weiter und nicht weiter selbstkritisch reflektieren zu müssen. Man ist ja selbst kein Nazi.
Relativiert man auch den Holocaust, wenn man behauptet es wären nur jüdische Mitbürger geplant ausgelöscht worden, weil es nicht erwähnt, dass ausländische Juden aus ganz Europa hintransportiert wurden? BTW Kriege sind generell das geplante Auslöschen von Ausländern mit staatlichen Ressourcen. Wenn es sich um Inländer handelt wird es meist als Bürgerkrieg bezeichnet.
Eine ganz nüchterne Frage: warum wird ein schrecklicher Massenmord verharmlost, wenn man einen anderen schrecklichen Massenmord erwähnt?
Nur nicht an der Entsetzensexklusivität und am ewigen Schuldzuweisungsanspruch kratzen. Völkermord gab es in der Geschichte ja nur ein einziges Mal, zwischen 1933-1945 in Europa.
Ein anderer Kommentator wagt es gar, einen Vergleich mit der Gegenwart zu ziehen:
Die Ironie an der Sache ist, dass jene Menschen, die anderen das Recht auf Denken, Fühlen und freie Meinungsäußerung unter Strafdrohung und Forderung nach Zensur absprechen wollen, zweifellos die begeistertsten, fanatischsten Nazi-Anhänger und Handlanger gewesen wären.
Die “Erinnerungskultur”, wie sie bei uns meist läuft, ist also leider völlig nutzlos und kontraproduktiv, denn was man nicht versteht, daran kann man sich auch nicht erinnern.