Da hatte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker erst vor knapp zwei Wochen die Hoffnung genährt, dass Angela Merkel als Kanzlerin bald zurücktreten könnte. Er hielt es für denkbar, dass Merkel nach ihrer Zeit als Kanzlerin eine Rolle auf europäischer Ebene übernähme. Die deutsche Kanzlerin wäre hochqualifiziert, so der EU-Kommissionschef. Er bezeichnete sie sogar als “liebenswertes Gesamtkunstwerk”.
Dann hatte die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) für den 2. und 3. Juni eine Führungsklausur der Unionspartei einberufen. Für viele ein gutes Zeichen für die berechtigte Hoffnung, dass Merkel ihr Amt als Kanzlerin endlich abgeben werde.
AKK rudert zurück
Doch am gestrigen Dienstag zerschlugen sich die Hoffnungen: Merkel wies die Spekulationen über ein vorzeitiges Ende ihrer Kanzlerschaft zurück. Sie könne die Frage, ob sie überraschende Pläne habe, “mit einem klaren Nein beantworten”.
Und Kramp-Karrenbauer assistierte als brave Musterschülerin Merkels. Sie habe den Termin für die Führungsklausur kurz nach der EU-Wahl angesetzt, um nach der Steuerschätzung darüber zu beraten, wie sich die Union in der großen Koalition aufstellen solle. Also nicht, um Merkel Richtung EU zu entsorgen.
Koalitionspoker
Die SPD wird dies allerdings als Kampfansage verstehen. Gerade vor den Landtagswahlen in den neuen Bundesländern im Herbst wird sie keine Freude damit haben, wenn sich AKK, die in Umfragen außergewöhnlich schlecht abschneidet, auf Kosten der SPD profilieren will, indem sie mehr Impulse und Entlastungen für die Wirtschaft fordert.
Doch wenn die Koalition scheitert, wäre das zugleich endlich Merkels Ende. Dann stünde auch eine bürgerliche Regierungskoalition mit Duldung der AfD zur Diskussion. Die neue, aufwärtsstrebende Partei hatte sich nach der Bundestagswahl bereits bereit erklärt, eine Regierung von Union und FDP zu stützen, wenn diese nicht von Merkel geführt wird. Möglicherweise tritt bald genau diese Situation ein.