Wenn das, was Sebastian Kurz in den letzten zwei Tagen zelebriert hat, der neue Stil des ÖVP-Wahlkampfes sein soll, dürfen wir uns ja in den kommenden Monaten noch auf einiges gefasst machen. Da war zunächst der eher bizarre Auftritt Kurz’ bei der an einen US-Wahlkampf erinnernden Prediger-Show in der Wiener Stadthalle am gestrigen Sonntag – unzensuriert berichtete.
Wusste ÖVP schon im Februar 2018 vom “Ibiza-Video”?
Montag Vormittag trat der Ex-Kurzzeitkanzler neuerlich an die Öffentlichkeit, und zwar in Form einer Pressekonferenz in Wien. Dort präsentierte er gemeinsam mit ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer angeblich als Fälschungen entlarvte Emails, die belegen sollten, dass die ÖVP bereits im Februar 2018 vom berüchtigten “Ibiza-Video” gewusst haben soll. Nachvollziehbare Details blieben die beiden ÖVP-Granden aber schuldig.
Screenshot als beweiskräftige Unterlage?
Angeblich habe “ein Medium” die ÖVP am Freitag mit besagtem Email-Verkehr zwischen Kurz und seinem Vertrauten Gernot Blümel (Ex-Kanzleramtsminister) vom Dienstag, 27. Februar 2019, konfrontiert und um Stellungnahme ersucht. Man habe die erhaltenen Screenshots (Originale stellte das “Medium” angeblich nicht zur Verfügung) intern geprüft und auch vom Beratungsunternehmen Deloitte untersuchen lassen. Ergebnis: Es müsse sich um Fälschungen handeln, da der 27. Februar 2018 ein Montag gewesen sei und auch die verwendete Email-Adresse von Kurz schon seit Jahren nur noch zum Empfang, nicht aber zum Versand von Nachrichten diene.
“Wozu etwas dementieren, das noch niemand gesehen hat?”
Nicht ganz geheuer erscheint diese Art der Öffentlichkeitsarbeit dem freiheitlichen Generalsekretär Christian Hafenecker. “Eine Pressekonferenz abzuhalten, um etwas zu dementieren, das noch niemand gesehen hat, mutet schon etwas seltsam an.” Kurz wie Nehammer hätten sich bei ihrem Auftritt auch sichtlich nicht wohl gefühlt in ihrer Haut. Möglicherweise habe die ÖVP hier die Flucht nach vorne angetreten nach der bekannten “Haltet den Dieb!”-Methode, vermutet Hafenecker in einer Aussendung.
Kein Wort zum Inhalt der angeblichen Fälschungen
Auch dass sie kein Wort über den Inhalt der so eifrig dementierten Mails verloren hätten, sei bemerkenswert, ebenso wie die computertechnische “Expertise” Nehammers. “Ich bin natürlich kein Computerexperte, aber dass man allein aufgrund eines Screenshots auf eine Fälschung schließen kann, ist auch dem Laien nicht recht einleuchtend”, so Hafenecker.
Warum gingen Emails nur an ein Medium?
Wenn jemand der ÖVP Schaden hätte zufügen wollen, dann hätte derjenige die Mails wohl nicht einer einzigen Zeitung zugespielt, sondern sie flächendeckend in Umlauf gebracht und vor allem auch an andere Parteien geschickt, meinte Hafenecker. Im Übrigen sei schon Wochen vor der Veröffentlichung des Ibiza-Videos aus ÖVP-Kreisen zu hören gewesen, dass es “den Strache eh nimmer lang geben” werde. Diese Aussagen würden jetzt an neuer Brisanz gewinnen. Es müsse eine lückenlose Aufklärung geben.
Kurz empfiehlt “kritischen Umgang” mit sozialen Medien
Ein echter Gewinn jedenfalls Kurz’ Resümee aus der dubiosen Fälschungs-Geschichte: Die Bevölkerung möge “allen Informationen, insbesondere auf Social Media, kritisch gegenüberstehen”. Alles, was dort an einen herangetragen werde, müsse kritisch hinterfragt werden. Er muss es ja wissen.