Kanzler Nehammer braucht Nachhilfe: Unzensuriert klärt ihn über das dänische Modell bei Sozialleistungen auf, das mit Österreich kaum vergleichbar und auch nicht umsetzbar ist.

1. April 2023 / 12:36 Uhr

Dänemark ist nicht Österreich, Herr Nehammer!

Bundeskanzler Karl Nehammer hat sich in Dänemark schlau gemacht, wie Österreich sein System für den Bezug der Sozialhilfeleistungen verschärfen könnte. Die Reise – vermutlich bezahlt vom Steuerzahler – hätte er sich sparen können. Es hätte genügt, wenn er bei unzensuriert nachgefragt hätte. Dann wäre ihm rasch klar geworden, dass er faktisch keine Möglichkeiten hat, österreichische Gesetze zu verschärfen. Denn Österreich muss dank EU-höriger ÖVP Gesetze mittragen, die auf EU-Ebene beschlossen wurden, Dänemark nicht.

Dänemark bezahlt vieles mit Steuern

Dänemarks Sozialversicherungssystem ist mit dem österreichischen nicht vergleichbar. In Österreich gibt es Sozialversicherungsträger wie die Krankenkassen, die Pensionsversicherungsanstalten oder das Arbeitsmarktservice. Österreicher zahlen Sozialversicherungsbeiträge und haben deswegen eben Anspruch auf Sozialversicherungsleistungen.

Dänemark hat das in der Form nicht. Es gibt zwar eine Arbeitslosenkassa, in der Arbeitnehmer Mitglied sein müssen. Sie wird aber überwiegend aus Steuergeldern finanziert.

Renten

Auch die Rentenleistungen werden durch Steuern finanziert, wobei es in Dänemark üblich ist, dass viele Dänen in private Rentenversicherungen einzahlen und daher eben durch eine private Versicherung zusätzlich zur staatlichen Leistung eine Rente erhalten.

Krankenversicherung steuerfinanziert

Weitere Leistungen wie Krankenversicherung werden generell durch die dänische Einkommenssteuer finanziert, die logischerweise höher ist als in Staaten wie Österreich oder der Bundesrepublik Deutschland. Die Basissteuer liegt zwar bei 12,09 Prozent. Jedoch kommen weitere Steuern hinzu wie der Arbeitsmarktbeitrag, der von jedem Erwerbstätigen bezahlt werden muss und acht Prozent des Einkommens beträgt.

Wer umgerechnet in Euro (Dänemark hat die dänische Krone als Währung) ca. 76.000 Euro Einkommen hat, bezahlt 15 Prozent Spitzensteuersatz. Es gibt viele Freibeiträge, wer darüber verdient, zahlt Steuern. Erwerbstätige müssen damit rechnen, dass ihnen mindestens 37,08 Prozent an Steuern abgezogen werden. Die Steuerhöchstgrenze liegt bei 52,07 Prozent.

Sozialhilfe ist kompliziert geregelt

Doch nun zu den Sozialhilfeleistungen. Dänemark kennt das Kontanthjælp (übersetzt Bargeldhilfe). Sie wird bezahlt, wenn Arbeitslose keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben, weil sie nicht mindestens ein Jahr Mitglied in der Arbeitslosenkassa waren. Anders als beim Arbeitslosengeld wird bei der Bargeldhilfe das Vermögen des Arbeitslosen einbezogen. Es gibt keine Sozialhilfe, wenn der Betroffene Wirtschaftsgüter hat, die er verkaufen könnte.

Auch Erwerbstätigkeit ist Pflicht

Wer die Sozialhilfe bezieht, muss dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Auch Kurse sind zu besuchen. Werden die Aufgaben vom Sozialhilfebezieher nicht erfüllt, wird die Sozialhilfe gekürzt. Sozialhilfebezieher müssen außerdem mindestens 225 Stunden im Jahr erwerbstätig sein, um Anspruch auf den vollen Sozialhilfesatz zu haben.

Die Höhe der Sozialhilfe richtet sich auch danach, ob eine Person 30 Jahre alt ist oder jünger oder älter. Geprüft wird, ob die Person Kinder hat oder bei den Eltern lebt.

Individualisiertes Modell

Wer etwa 25 Jahre alt ist und zu Hause lebt, der erhält 3.644 Dänische Kronen, also umgerechnet 487,66 Euro monatlich. Nicht zu Hause lebend bringt 1.011,06 Euro monatlich. Wer das 30. Lebensjahr erreicht hat und Kinder versorgt, bekommt 2.084,51 Euro monatlich.

Es gibt unterschiedliche Varianten, da auch berücksichtigt werden muss, ob eine Person alleinerziehend ist oder nicht. Und auch eine psychische Krankheit kann eine Rolle spielen. Eine Liste gibt es hier zum Abrufen.

Auslandsaufenthalte von wenigen Tagen

Sozialhilfeempfänger müssen grundsätzlich in Dänemark ihren Aufenthalt haben. Sie dürfen im Monat maximal zweimal einen Auslandsaufenthalt haben. Wer aber zwölf Monate Sozialhilfe bezieht, darf für vier Wochen Urlaub nehmen, ohne dass die Leistung gekürzt wird. Außerdem müssen die Sozialhilfeempfänger laut EU-Kommission ihren Wohnsitz in Dänemark für eine Gesamtdauer von sieben Jahren innerhalb der vorherigen acht Jahre gehabt haben.

Veraltete EU-Angaben

Doch die Regeln dürften überholt sein. Auf MISSOC.org, einer Datenbank, die Leistungen aller EU-Staaten dokumentiert, heißt es zu dänischen Mindestsicherungsleistungen:

Aktivierungsmaßnahmen und Geldleistungen (Sozialhilfe (kontanthjælp) und Bildungsförderung (uddannelseshjælp)) werden Personen gewährt, die vorübergehend aufgrund besonderer Umstände (wie Krankheit oder Arbeitslosigkeit), nicht über ausreichende Mittel für den eigenen Unterhalt oder den ihrer Familie verfügen.

Leistung zur Selbstversorgung und Rückkehr oder Übergangsleistung (selvforsørgelses- og hjemrejseydelse eller overgangsydelse) wird Personen gewährt, die weniger als 9 der letzten 10 Jahre in Dänemark ansässig waren und für eine Gesamtzeit von 2 Jahren und 6 Monaten innerhalb der letzten 10 Jahre einer regulären Beschäftigung nachgingen und bedürftig sind.

Diese Regel gilt nicht für EU/EWR-Bürger, die gemäß EU-Recht einen Anspruch auf diese Leistungen haben. Asylsuchende erhalten Unterstützung von der Einwanderungsbehörde.

Dänemark muss EU-Recht nicht beachten

Die dänischen Regeln sind jedenfalls sehr kompliziert und haben Ausnahmen bei EWR-Bürgern und Asylsuchenden. Abgesehen davon muss Dänemark die EU-Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109 für Drittstaatsangehörige nicht umsetzen. Dänemark kann damit Drittstaatsangehörige, die einst Asylwerber waren und asylberechtigt wurden, anders behandeln.

Österreich muss sich an EU-Recht halten

Österreich hat sich aber bei dieser Linie keine Klausel herausverhandelt und muss damit die EU-Vorgaben umsetzen, womit Asylberechtigte als solche Personen zu behandeln sind als wären sie österreichische Staatsangehörige. Das gilt auch für die Sozialhilfeleistungen. Zumindest jene, die als Kernleistungen gelten. Nehammers Pläne klingen zwar in den mit Inseraten finanzierten Mainstream-Medien ganz nett. Faktisch kann er aber nichts davon umsetzen.

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