Wenn Chatprotokolle die schwarzen Netzwerke in der Justiz aufdecken, geht ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz medienwirksam impfen und sagt nichts dazu. Aber warum schweigt Bundespräsident Alexander Van der Bellen so beharrlich zu den Vorkommnissen?
Rattengedicht führte beinahe zur Staatskrise
Das war nicht immer so. Blenden wir zurück in den April 2019, als es die schwarz-blaue Regierung gab. Da wurde ein so genanntes Rattengedicht eines kleinen FPÖ-Funktionärs in Braunau in Oberösterreich beinahe zur Staatskrise. Der Mann hatte sich selbst – übrigens schon seit Jahren – in einer lokalen Zeitung als Ratte bezeichnet und alle Figuren, die in diesem Gedicht vorkamen, waren ebenfalls Ratten. Übrigens wurden die Ermittlungen gegen den freiheitlichen Funktionär wegen des Verdachts der Verhetzung eingestellt.
Klima des Respekts
Damals war für Sebastian Kurz und Alexander Van der Bellen die Stunde gekommen, dass sie sich wortgewaltig und staatstragend zu Wort melden konnten. Kurz sprach nach dem Abgang des Rattengedicht-Autors aus Amt und Partei von der „einzig logischen Konsequenz zu diesem abscheulichen und rassistischen Gedicht“. Bundespräsident Van der Bellen begrüßte „die klare Reaktion des Bundeskanzlers“ und beteuerte in einer schriftlichen Stellungnahme, dass „alle Politiker, besonders aber die Funktionäre einer Regierungspartei Verantwortung für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft tragen und für ein Klima des Respekts zu sorgen haben.“
Kirche mit Verlust von Steuerprivilegien gedroht
Zurück im Jahr 2021 sprechen beide Politiker mit keinem Wort mehr von einem „Klima des Respekts“. Kurz geriet ja selbst in die Bredouille, nachdem SMS-Unterhaltungen bekannt wurden, in denen der damalige Generalsekretär des Finanzministeriums und heutige ÖBAG-Chef Thomas Schmid und Kanzler Kurz der Kirche mit dem Verlust von Steuerprivilegien drohten:
Schmid schrieb:
Wir werden ihnen ordentliches Package mitgeben.
Der Kanzler schrieb euphorisch zurück:
Ja super. Bitte Vollgas geben.
Darauf Schmid:
Yea! Das taugt mir voll 👍🏻💪🏻
Höchstrichterin eignet sich als “Müllfrau”
Keine Kleinigkeit ist auch, was sich jetzt in der Justiz offenbart. In der Kommunikation zwischen dem seit Monaten suspendierten Justizsektionschef Christian Pilnacek und dem ÖVP-nahen Verfassungsrichter (!) Wolfgang Brandstetter sprach Pilnacek von einem „vom VfGH fehlgeleiteten Rechtsstaat“. Außerdem schrieb er, dass sich eine Höchstrichterin als „Müllfrau“ eigne. Und in Nachrichten an den steirischen Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) machte Pilnacek außerdem keinen Hehl daraus, dass er sich um Unterstützung für seine Frau bei der Präsidentenernennung am Oberlandesgericht (OLG) Graz bemüht hatte – ohne Erfolg übrigens.
Saure Wiesen zum Trockenlegen
Dank dem „Ibiza“-Untersuchungsausschuss kommen beinahe täglich saure Wiesen zum Vorschein, die Bundespräsident Van der Bellen eigentlich trocken legen sollte. Doch – anders als beim Rattengedicht aus der oberösterreichischen Provinz – schweigt Van der Bellen und man fragt sich, welchen Beruf hat der Bundespräsident eigentlich?
Ermittlungen wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses
Unverständlich, denn bei den Hütern der Verfassung, dem Verfassungsgerichtshof, geht es um kein Bagatelldelikt. Die Staatsanwaltschaft werde wohl wegen des Verdachts der Amtsgeheimnisverletzung ermitteln, sagte Rechtsanwältepräsident Rupert Wolff zur APA. Vieles an dieser „Niveaulosigkeit“ in Pilnaceks Äußerungen im Chat erinnere ihn an Bemerkungen des früheren US-Präsidenten Donald Trump an dessen Umgang mit Frauen.
Dankbarkeit an ÖVP muss Ende haben
Heuer, am 15. Mai, anlässlich des 66. Jahrestages der Unterzeichnung des Staatsvertrages, meinte der Bundespräsident noch: Gerade jetzt brauche es auch „das Vertrauen in eine Verfassung, auf die Verlass ist“. Sie habe sich „vielfach bewährt“, auf ihrer Grundlage könnten „Gegensätze überwunden werden“.
Schöne Worte zu Feiertagen. Doch wenn es wirklich brennt im Staate, wie jetzt nach Bekanntwerden der Chats, rückt Van der Bellen nicht als Feuerwehrmann aus, sondern man hat vielmehr den Eindruck, dass er sich im Raucherkammerl der Hofburg versteckt. Aber einmal, Herr Bundespräsident, muss die Dankbarkeit an die ÖVP für deren Unterstützung im Präsidentschaftswahlkampf 2016 ein Ende haben. Sie haben schon zu viel „hinuntergeschluckt“!