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6. Jänner 2012 / 09:55 Uhr

Wulff-Affäre wäre in Österreich undenkbar

Christian WulffDer deutsche Bundespräsident Christian Wulff (CDU) wankt. Auch sein reumütiges Interview mit Journalisten der öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF hat die Medien noch nicht allzu milde gestimmt, immer noch bleiben Zweifel an seiner "Wahrhaftigkeit", wie es stellvertretende ZDF-Chefredakteur Elmar Theveßen im heute-Journal ausdrückte. Umso mehr als die Bild-Zeitung nachlegt und Wulff erneut unterstellt, die Unwahrheit oder zumindest nicht die ganze Wahrheit gesagt zu haben. Die Nachicht Wulffs auf der Mailbox von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann bleibt jedoch vorerst geheim. War die Kredit-Affäre noch ein warmes Lüfterls, entwickelte sich die Intervention Wulffs bei den Medien zu einem Sturm. Soweit wäre es in Österreich nie gekommen: Hier sind Politiker mit Journalisten viel mehr verbandelt.

Christian Wulff

Christian Wulff

Präsident Wulff: In einer Umfrage fordern bereits 90 Prozent
der Deutschen seinen Rücktritt.
Foto: European Parliament / flickr (CC BY-NC-ND 2.0)

Wulffs Stern begann zu sinken, als bekannt wurde, dass der amtierende Bundespräsident in der Zeit seiner Ministerpräsidentschaft in Niedersachsen von der Frau eines bekannten Geschäftsmannes ein 500.000-Euro-Darlehen bekam, das danach von einer Bank zu ebenfalls unüblich günstigen Konditionen abgelöst wurde. Der deutsche Blätterwald begann zu rauschen, noch mehr, als dann auch noch öffentlich wurde, dass Wulff bei Bild-Chefredakteur Kai Diekmann und auch bei einem Redakteur der Welt am Sonntag gegen die Berichterstattung über die Kredite interveniert haben soll.

"Dieses Amt ist für Wulff zu groß"

„Diese Amt ist für Wulff zu groß“, schimpfte die Süddeutsche Zeitung. Und die FAZ ätzte: „Das passt zu einem Staatsoberhaupt, das von allen Geistern verlassen worden ist“. Wulff hat das Pech, im falschen Land Präsident zu sein. In Österreich könnte er mit solchen Eskapaden gut leben. Eine Rücktrittsaufforderung an das Staatsoberhaupt aufgrund eines günstigeren Darlehens oder aufgrund einer Intervention bei einer Zeitung? Nein, das wäre wirklich undenkbar in einem Land, in dem sich Politiker und Journalisten in gegenseitiger Abhängigkeit nicht wehtun wollen oder dürfen. Nicht vorstellbar, hätte zum Beispiel Bundeskanzlerin Angelika Merkel bei der Deutschen Bahn interveniert, um Inseratenschaltungen für Boulevard-Blätter zu veranlassen. Sie wäre als Regierungschefin längst Geschichte. Anders in Österreich. Wie berichtet, sollen Bundeskanzler Werner Faymann und sein Staatssekretär Josef Ostermayer als „Inseraten-Keiler“ für die Kronen Zeitung und andere Blätter unterwegs gewesen sein und dabei Druck auf die staatsnahen Betriebe wie Bundesbahn und ASFINAG ausgeübt haben. Die Indizienkette ist erdrückend, die Staatsanwaltschaft ermittelt, es gilt die Unschuldsvermutung. Was in dieser Inseraten-Affäre in Deutschland los gewesen wäre, kann sich jeder vorstellen. Faymann und Ostermayer hätten die Interventionen bei den deutschen Medien politisch nicht überlebt.

ORF-Redakteur schreibt Prammer Text vor

Die Freunderwirtschaft zwischen Journalisten und Politikern ist in Österreich in vielen Fällen noch ärger, als es sich der Medienkonsument vorstellt. Ein gutes Beispiel dafür ist ein Mail des Pressesprechers von Nationalratspräsidentin Prammer (SPÖ) an seine Chefin, in dem er den Wunsch eines ORF-Redakteurs übermittelt, Prammer solle in einer Debatte über einen anegblichen Rechtsruck in der Gesellschaft "etwas sagen, was über das Bisherige hinausgeht, etwas 'Überraschendes', […] etwas Geniales halt.". Das Mail landete versehentlich auch an im Büro des Dritten Nationalratspräsidenten geschickt, weshalb die Peinlichkeit öffentlich wurde. Konsequenzen gab es keine.

Nicht überlebt hätte ein Bundeskanzler Deutschlands auch eine Affäre, die sich zu Zeiten abgespielt hat, in der Werner Faymann noch Wiener Wohnbaustadtrat war. Als solcher Chef von Wiener Wohnen, mietete Faymann die Gemeindebau-Verewaltung – laut Rechnungshof zu weit überhöhten Preisen – im NEWS-Gebäude der Fellner-Brüder ein und zahlte die Miete auch noch zwölfeinhalb Jahre im Voraus. Dieser Deal verursachte keinen medialen Aufschrei, obwohl es sich dabei um eine versteckte Medienförderung gehandelt haben könnte.  Auch Laura Rudas, SPÖ-Bundesgeschäftsführerin, kann froh sein, in Österreich tätig zu sein. Als die Tageszeitung Heute aufdeckte, dass aus der SPÖ-Zentrale in der Löwelstraße gefälschte Jubel-Leserbriefe für Faymann an Zeitungsredaktionen geschickt werden, kostete der Skandal  nicht Rudas, sondern Heute-Chefredakteur Wolfgang Ainetter den Kopf, der die Angelegenheit pubkik gemacht hatte.

Brief von Wrabetz nur Selbstironie?

Aktuell tut die Bestellung von Niko Pelinka als SPÖ-Politkommissär im Büro von ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz ihr Übriges, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Unabhängigkeit der Medien endgültig zu zerstören. Ein weiteres Gustostückerl ist aktuell der Neujahrsbrief von Wrabetz an seine Mitarbeiter. Darin ist zu lesen: „Ich denke – und das wurde dem ORF und mir in den vergangenen 5 Jahren von KollegInnen, der Presse und unserem Publikum immer wieder bestätigt und darauf bin ich von allen Dingen, die wir seit 2007 erreicht haben, am meisten stolz – dass wir heute ein Maß an Unabhängigkeit, Objektivität, Offenheit, Selbst-Ironie und auch interner Streit- und Diskussionskultur haben, das im ORF früher undenkbar war und das auch in allen anderen mir bekannten Medien-Unternehmen im In- und Ausland nach wie vor undenkbar ist. Ich garantiere Ihnen, dass dies auch in den kommenden Jahren so bleiben wird“

Die Selbst-Ironie muss man ihm lassen, den Rest sucht man vergebens. Die ungeschönte, freie Berichterstattung über die Affären des deutschen Bundespräsidenten, die auch in den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern der Bundesrepublik stattfindet, kann sich der Konsument des ORF-Programms bei ähnlichen Fällen in Österreich derzeit jedenfalls nicht vorstellen.

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