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Beim ORF-Sommergespräch musste Sebastian Kurz aus seinem “Versteck” heraus und versagte gleich bei seinem ersten großen Fernsehauftritt.

29. August 2017 / 22:36 Uhr

Sommergespräch-Analyse: Kurz wirkte genervt wie ein routinierter Altpolitiker

Mehr als eine Million Menschen sahen das ORF-Sommergespräch mit ÖVP-Chef Sebastian Kurz. Politische Gegner von Kurz jubeln insgeheim über diesen Zuschauerrekord. Weil am Montag Abend wurde vielen die Augen geöffnet, was ihnen blüht, wenn sie bei der Nationalratswahl am 15. Oktober die Liste Kurz ankreuzen.

Er hat zumindest keinen Fehler gemacht

So schwach hat man den Medienliebling der vergangenen Monate überhaupt noch nie gesehen. Praktisch bei keiner einzigen Frage vom – ebenso schwachen – ORF-Moderator Tarek Leitner brachte Kurz eine konkrete Antwort zustande. Dennoch fanden in der anschließenden Analyse in der ZIB 2 sowohl Isabelle Daniel von der Tageszeitung Österreich als auch Andreas Koller von den Salzburger Nachrichten auch lobende Worte für Kurz, die conclusio:

Er habe zumindest keinen Fehler gemacht. Er zieht sein Ding durch.

Abstimmung über Kritik an Tarek Leitner

Hätte ein HC Strache so viel geredet und dabei so wenig gesagt, wäre er vom Mainstream tagelang niedergeschrieben worden. Bei Kurz hieß es etwa im Kurier: "Hitziges Gefecht im ORF mit Kurz", die Tageszeitung Österreich, die den ÖVP-Chef schon seit Wochen als neuen Kanzler abfeiert, ließ die Leser darüber abstimmen, ob die Kritik an Leitners Kurz-Interview berechtigt gewesen sei.

Angst um Jobs und Inseraten-Millionen

Haben die Medien, inklusive ORF, Angst, es sich mit dem möglichen künftigen Bundeskanzler zu verscherzen? Bangen Journalisten um ihre Jobs? Anders ist es nicht zu erklären, warum sie so taten, als würde Sebastian Kurz des Kaisers neue Kleider tragen.

Zumindest die Kleine Zeitung aber scheint keine Sekunde auf potentielle Regierungsinserate geschielt zu haben, als ihr eine objektive Analyse des Sommergesprächs von der Feder ging:

Kurz lächelte sich durch den Abend, wirklich souverän und gelassen wirkte er abseits seiner Lieblingsthemen – die Begriffe "Balkanroute" oder "Mittelmeerroute" fielen erstaunlicherweise kein einziges Mal – jedoch nicht immer. Bei detaillierten Nachfragen wirkte der ÖVP-Chef, der für einen neuen Politikstil wirbt, genervt wie ein routinierter Altpolitiker. Vor allem bei der Frage, wie die Steuerbelastung um 12 bis 14 Milliarden Euro reduziert werden soll, kam Kurz ins Rudern. Seine Fans hat er wohl auch mit diesem Auftritt bedient, obwohl es definitiv nicht sein bester war.

Kurz weiß nicht, was mit Förderungen im eigenen Ministerium passiert

Die Kleine Zeitung kommt zum Schluss, dass die politischen Mitbewerber im Sommergespräch einen Favoriten gesehen haben, der auch seine offenen Flanken habe und in Sachthemen nicht immer sattelfest wirke.

Was heißt nicht sattelfest? Es war regelrecht erschreckend, wie Kurz zugeben musste, bei Förderungen seines eigenen Ministeriums nicht zu wissen, ob es da auch Subventionen zum Beispiel von der Stadt Wien gebe. Diese Doppelgleisigkeit bei Förderungen wolle er beenden. Das hätte er aber schon längst tun können. Schließlich sitzt er schon jahrelang in der Regierung.

Unter Minister Kurz überquerten Hunderttausende illegal die Grenzen

Ziemlich entlarvend auch seine Aussagen zur Flüchtlingskrise, bei der er anderen – wie auf einem hohen Ross sitzend – einen Blick auf Österreich bescheinigte, sich selbst aber so einschätzte, dass er als Außenminister internationale Entwicklungen berücksichtigen müsse. 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, als hunderttausende Menschen die österreichischen Grenzen illegal überquerten, saß er wahrscheinlich irgendwo versteckt in einem Minister-Hinterzimmer, um bei den linkslastigen Medien nicht negativ aufzufallen.

Einwanderer gebildeter als Österreicher

Damals konnte er noch Sätze, wie "der Islam gehört zu Österreich" sagen. Im Sommergespräch dagegen sprach Kurz von einer christlich-jüdisch geprägten Tradition in Österreich. Vielleicht glaubt Sebastian Kurz tatsächlich, dass die Österreicher weniger gebildeter sind als die Zuwanderer, wie er es bei einer Veranstaltung in der Gemeinde Gerasdorf bei Wien ausdrückte, und kann ihnen deshalb jetzt im Wahlkampf einen Bären aufbinden.

Von gebildeten ORF-Moderatoren hätte man sich aber schon erwartet, dass man Sebastian Kurz mit Aussagen und Taten in seiner langen Regierungszeit konfrontiert. Warum das nicht geschah, bleibt nicht nur den Fernsehzuschauern ein Rätsel.

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