Großbritanniens Premierminister Boris Johnson sieht im Ergebnis zur britischen Unterhauswahl am vergangenen Donnerstag ein „mächtiges Mandat für den Brexit“. Auch die heimischen Medien mussten der konservativen Pro-Brexit-Partei einen „Erdrutschsieg“ attestieren, nicht ohne moralinsauer die Entscheidung der Briten zu verunglimpfen und zu relativieren: Vom „Brexit-Drama“ spricht die Tagesschau, der Standard fragt: „Aber haben die Britinnen und Briten am Donnerstag wirklich den Brexit gewählt?“
Mediale Kampagne
Damit wird die Realitätsverweigerung der kontinentalen Medien einmal mehr offensichtlich. Seit der Ansetzung des EU-Austrittsreferendums im Juni 2016 kampagnisierten sie gegen den Brexit, und das mit Trommelfeuer. Die Brexit-Berichterstattung war in den letzten dreieinhalb Jahren eine einseitige politische Medienkampagne.
Die Fernseh-, Radio- und Zeitungsmeldungen lassen sich zu Hunderten vorlegen, in denen Stimmung gegen den Brexit gemacht wurde, die Befürworter des britischen EU-Abschieds als Geisteskranke abgekanzelt und der Eindruck erweckt wurde, die Engländer würden in Wirklichkeit ganz anders denken. Die Mainstream-Medien erweckten den Eindruck, dass nur wenige verantwortungslose Deppen gegen die britische EU-Mitgliedschaft, alle Verantwortungsvollen, Gebildeten und das Volk schlechthin in Wirklichkeit und natürlich gegen den Brexit wären. Gäbe es ein zweites Referendum, wäre die Mehrheit pro EU. In Wahrheit haben die Briten nun zum dritten Mal für den Brexit gestimmt: Erstmals 2016, bei den EU-Parlamentswahlen im vergangenen Mai und am letzten Donnerstag.
Rückschlüsse auf Politik und Diplomatie
Die eklatante Fehleinschätzung der Medien setzte sich in der Politik fort. Beide verfolgten die gleiche Agenda: Den aktuellen Bestand der Brüsseler EU nicht zu gefährden.
Daraus erhebt sich die Frage: Ist es außenpolitisch richtig und klug, sich in die Angelegenheiten eines anderen Landes so massiv und abschätzig gegen eine Seite einzumischen? Wieviel einer solchen Missachtung der nationalen Souveränität ist tragbar? Wieviel Porzellan wurde ohne Not zerschlagen? Die Brexit-Befürworter und Johnson verdienen Respekt ihrer Souveränität, weshalb ein kluges Gesprächsklima für unsere Interessen besser gewesen wäre, als sich einer Fehleinschätzung hinzugeben und diese brachial erzwingen zu wollen.
Wahlversprechen binnen einer Woche erfüllt
Nach langem und zähem Ringen im britischen Unterhaus kann Johnson seinen Brexit-Kurs davon unbeeindruckt jetzt durchsetzen. Über das Wochenende muss er sein eigenes Kabinett umbilden. Bereits am Montag will er die neue Regierungsmannschaft bekanntgeben. Am Dienstag soll das Unterhaus nach der Wahl zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommen. Die feierliche Eröffnungszeremonie im Parlament ist für Donnerstag angesetzt. Dann wird die Königin Johnsons Regierungsprogramm verlesen. Schon am Freitag soll das mit der EU nachverhandelte Brexit-Abkommen vom Unterhaus ratifizieren lassen. Damit hätte Johnson sein Wahlversprechen binnen einer Woche erfüllt.
Mitte Jänner muss noch die EU das Abkommen ratifizieren. Dann werden die Bundesrepublik Deutschland, Österreich, die Niederlande und die skandinavischen Ländern alleine die EU-Nettozahler stellen. Das wird teuer.