Erst seit 2013 können Wähler ihre Präferenzen für bestimmte Kandidaten auf der Bundeswahlliste kundtun. Bis dahin war dies nur auf Regional- und Landesebene möglich. Weil die Parteien ungern ihre Personalauswahl in die Hand der Wähler legen, sind die Hürden hoch, mittels Vorzugsstimmen die von den Parteigremien beschlossenen Listenplätze tatsächlich zu verändern. So wäre es bei der Nationalratswahl 2019 etwa Sebastian Kurz gelungen, über die Vorzugsstimmen vorgereiht zu werden. Denn er übersprang die Hürde von sieben Prozent der auf seine Partei entfallenden Stimmen. Da er aber ohnedies erstgereiht war, kommen die Vorzugsstimmen nicht zum Tragen.
Indiz für Sympathie und politische Ausrichtung
Vielmehr sind die Vorzugsstimmen daher ein Indiz für Sympathie und politische Ausrichtung des Kandidaten oder der Kandidatin. So hatte bei der EU-Wahl die ÖVP-Listenzweite, Karoline Edtstadler, deutlich mehr Vorzugstimmen bekommen als der bisherige Delegationsleiter Othmar Karas. Die ÖVP-Wähler hatten ganz klar ihre Präferenz für die konservative Ausrichtung zum Ausdruck gebracht und ließen den linksliberalen Karas im wahrsten Sinne des Wortes alt aussehen.
Regionale Vorzugsstimmenkaiser
Auf der Ebene der Regionalwahlkreise und des Landeswahlkreises kommt es auch nur sehr selten zu mandatsrelevanten Verschiebungen. Auf regionaler Ebene drücken die Vorzugsstimmenergebnisse vor allem Wertschätzung und Anerkennung für die lokalen Parteienvertreter aus und geben eine Einschätzung über ihre Wählerwirkung. Während in Wien viele politische Spitzenvertreter nur wenige Vorzugsstimmen erhielten, wurde etwa Martin Huber im Mostviertel freiheitlicher Vorzugsstimmenkaiser noch vor der Erstplatzierten.
Kickl als Zweitgereihter gleich beliebt wie Kurz als Erstgereihter
Laut dem bisher veröffentlichten Zwischenstand zur Nationalratswahl 2019 in sieben Bundesländern führt Ex-Kanzler Sebastian Kurz mit 129.532 ÖVP-Vorzugsstimmen die Rangliste auf Bundesebene an. Bei den Freiheitlichen hat Ex-Innenminister Herbert Kickl von den bisher ausgewerteten Ländern den meisten Zuspruch erhalten, nämlich 58.158 Stimmen. Beiden ist gemein, dass jeder 14. Wähler ihrer Partei Kurz beziehungsweise Kickl die Vorzugsstimme gab – Kickl allerdings als Zweitgereihtem. Kickl holte allein in den bisher ausgezählten Bundesländern schon jetzt deutlich mehr Vorzugsstimmen, als Ex-Parteichef Heinz-Christian Strache 2017 erringen konnte.
Die Zustimmung zum ehemaligen Innenminister ist damit besonders hoch zu bewerten. In Niederösterreich errang er mehr als doppelt und in Oberösterreich fast viermal so viel Zuspruch wie FPÖ-Parteiobmann Norbert Hofer. Der blaue Erstgereihte hatte jedoch mit einer juristischen Spitzfindigkeit zu kämpfen: Weil auf der FPÖ-Bundesliste auf Platz 113 ein Steuerberater aus Salzburg namens Hofer kandidierte, wurde jede Vorzugsstimme, die auf „Hofer“ lautete, für ungültig erklärt, weil der Wählerwille nicht eindeutig erkennbar gewesen sei.
Blaues Spitzenduo mit zweitmeisten Vorzugsstimmen
Das blaue Spitzenduo Hofer und Kickl belegt nach Kurz die Plätze zwei und drei in der vorläufigen Zwischenbilanz der Vorzugsstimmen. So erhielt Hofer trotz großer Verluste der FPÖ und Namensgleichheitsmissgeschick immer noch fast doppelt so viele Vorzugsstimmen wie SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Abgeschlagen sind auch Grünen-Chef Werner Kogler und Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger.
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Die freiheitlichen Wähler haben also die Chance, die die Vorzugsstimmen in unserem Wahlsystem bieten, mehr ausgenützt als alle anderen Wähler. Freiheitliche Wähler sind offenbar die aktivsten Demokraten.
Die endgültige Bilanz der Vorzugsstimmen veröffentlicht das Innenministerium am 16. Oktober nach der Sitzung der Bundeswahlbehörde.