Zwischen Washington und Ankara herrscht diplomatische Eiszeit. Denn die Türkei hat ihren Botschafter aus den USA abberufen, weil der außenpolitische Ausschuß des Repräsentantenhauses Verfolgung der Armenier durch das Osmanische Reich gegen Ende des Ersten Weltkriegs als Völkermord bezeichnet hatte. Keine Rolle spielt es dabei für Ankara, daß die USA die wichtigste treibende Kraft hinter den türkischen EU-Beitrittsbestrebungen sind. Damit wird einmal mehr deutlich, wie wenig die Türkei auf vermeintliche Partner Rücksicht nehmen und statt dessen – koste es, was es wolle – ihre eigenen Interessen verfolgen.
Kommentar von Andreas Mölzer, Mitglied des Europäischen Parlaments
Die diplomatische Krise zwischen den Vereinigten Staaten und der Türkei sollte daher für die Europäische Union eine ernste Warnung sein, was ihr drohen würde, wenn Ankara eines Tages Mitglied sein sollte. Die Türken würden ihren europäischen „Partnern“ nach Belieben ihre Bedingungen diktieren, zumal die Europäische Union ein wesentlich schwächeres Gewicht hat als die USA. Und in letzter Konsequenz ist im Falle einer türkischen Mitgliedschaft mit einer Verlagerung des politischen Gravitationszentrums der EU von Brüssel nach Ankara zu rechnen, womit sich die Europäer in eine gefährliche Vasallenschaft begäben. Um einen Schrecken ohne Ende zu verhindern, müssen daher die Beitrittsverhandlungen mit Ankara abgebrochen werden.
Mit der sturen Weigerung der Türkei, sich den dunklen Kapiteln ihrer Vergangenheit zu stellen, beweist dieses Land aber auch einmal mehr, wie fern es von Europa ist. Natürlich verlangt niemand von den Türken, dass sie wie die Bundesdeutschen und Österreicher, die wegen der Verbrechen des Braunauers ständig im Büßerhemd herumlaufen, den Nationalmasochismus verinnerlichen. Aber das Eingeständnis, dass die Ermordung von bis zu anderthalb Millionen christlichen Armeniern doch ein Völkermord gewesen ist, wäre eine wichtige Geste um endlich die Beziehungen zu Armenien zu verbessern.
Für die Europäische Union schließlich, die bekanntlich Ankara um jeden Preis aufnehmen will, geht es bei der Armenier-Frage um nichts weniger als um ihre eigene Glaubwürdigkeit. Denn der Beitritt der Tschechischen Republik und die damit verbundene Weißwaschung der menschen- und völkerrechtswidrigen Benes-Dekrete war ein Schlag ins Gesicht der heimatvertriebenen Sudetendeutschen und damit ein Sündenfall der selbsternannten „Wertegemeinschaft“, der sich nicht wiederholen darf
Andreas Mölzer schreibt regelmäßig in der Wochenzeitung "Zur Zeit".