Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ), dem allgemein nachgesagt wird, beim Alkohol kein Kind der Traurigkeit zu sein, könnte vor den Linsen der Boulevard-Fotografen von Kronen Zeitung, Heute oder Österreich stockbetrunken einen Hund treten – ein Bild von diesem Vorfall würde höchstwahrscheinlich nie erscheinen. Anders geht die Medienwelt mit blauen Politikern um: heute.at und oe24.at hatten im November des Vorjahres einen Bericht samt Video über eine FPÖ-Lokalpolitikerin in Gänserndorf gebracht. Ein Passant hatte die Frau im Vollrausch auf ihrem Heimweg (zu Fuß) gefilmt und das Material den Zeitungen zugespielt.
Presserat schritt von sich aus ein
Für die beiden Online-Medien, die digitalen Ableger von Heute und Österreich, die existenziell abhängig von Regierungs- und Stadt-Wien-Inseraten sind, war das natürlich ein gefundenes Fressen. Beide Zeitungen veröffentlichten das Video und schrieben einen verunglimpfenden Text dazu. Dabei nahmen sie keine Rücksicht auf den Persönlichkeitsschutz. Diesen genießen in Österreich aber auch Politiker, die – wie jeder andere Staatsbürger auch – ein Recht auf Privatsphäre haben. Und weil dieses Recht über Gebühr verletzt wurde, schritt der Presserat von sich aus ein und kam zu folgendem Urteil:
Die Artikel „Vollrausch-Video bringt FP-Politikerin unter Druck“ und „Stockbetrunken – Eklat um blaue NÖ-Politikerin“, die am 10.11.2014 auf www.heute.at bzw. www.oe24.at erschienen sind, verstoßen gegen Punkt 5 des Ehrenkodex für die österreichische Presse (Persönlichkeitsschutz).
Der Presserat fügte noch hinzu: „Auch politisch engagierten Menschen ist ein Privatbereich zuzugestehen, in dem sie sich unbeobachtet fühlen können und den die Medien respektieren müssen.“ Die Betroffene sei keine bundesweit bedeutende Funktionärin, sondern Lokalpolitikerin in einer kleinen Gemeinde. Die Berichte seien auch in keinerlei Zusammenhang mit der politischen Arbeit der Frau gestanden. Zweck der Veröffentlichungen sei es somit ausschließlich gewesen, die Politikerin bloß- bzw. ihren „angeschlagenen Zustand öffentlich zur Schau zu stellen“. Die beiden Medien wurden aufgefordert, diesen Spruch freiwillig zu veröffentlichen.
Weder Heute noch Österreich freilich erkennen den Presserat als Schiedsgericht der österreichischen Print-Landschaft an. Die beiden Medien hätten auch nicht von der Möglichkeit, an dem Verfahren teilzunehmen, Gebrauch gemacht, hielt der Presserat fest.