Ist es das Sommerloch, völlige Unkenntnis der Materie oder einfach journalistische Ungeschicklichkeit? Was sich ORF.at mit dem Schönreden von Schleppern leistete, kann nur noch als skandalös bezeichnet werden. Unter dem Titel "Schlepper als einzige Chance für Flüchtlinge" werden diese harmlos als "Fluchthelfer" und die kriminellen Organisationen von Christoph Riedl, Leiter des Flüchtlingsdienstes der Diakonie, als "halbwegs adäquate Dienstleistung" bezeichnet. Dagegen räumt ein Zeitzeuge in der Zeitung Die Welt mit dieser "oberflächlichen Täuschung" auf. Der heute 77-jährige Burkhart Veigel, der rund 650 DDR-Bürger ein Leben in Freiheit ermöglichte, legt dar, warum es einen Riesenunterschied zwischen den "kriminellen Menschenhändlern" von heute und den "Fluchthelfern" vor allem in den 60er-Jahren gibt.
Schlepper "verantwortungsvolle Geschäftsleute"
"Bis vor 20 Jahren hießen sie Fluchthelfer. Heute werden jene, die anderen bei der Flucht helfen, als Schlepper bezeichnet. Mit der Namensänderung ging auch ein Imagewandel einher. In der medialen und politischen Debatte sind sie skrupellose Kriminelle und Ausbeuter. Für viele Flüchtlinge sind sie aber die einzige Chance, nach Europa zu kommen" – so beginnt der unsägliche Artikel auf ORF.at, der seinen Höhepunkt erreicht, als darin der italienische Journalist Giampaolo Musumeci zu Wort kommt. Dieser soll mehrere Jahre im Schleppermilieu recherchiert haben und er bezeichnet die Mehrheit als verantwortungsvolle Geschäftsleute, die alles daran setzen, „ihre Kunden sicher ans Ziel zu bringen“. Und etwas weiter im Artikel wird Andreas Schloenhardt, seit 2005 Professor für Strafrecht an der Universität von Queensland in Australien, mit dem Satz zitiert, dass es "keine Anhaltspunkte für mafiöse Strukturen" gebe.
Fluchthelfer des Kalten Krieges
Burkhart Veigel wehrt sich gegen die Vermischung der Begriffe. Fluchthelfer des Kalten Krieges und die mafiaartigen Strukturen der Gegenwart hätten nichts gemeinsam. Dennoch würden sie in manchen Medien, vor allem im Fernsehen, mitunter im selben Atemzug genannt. Offiziell nannte die Stasi sie "kriminelle Menschenhändler", doch bei DDR-Grenzern hießen die mutigen jungen Männer einfach nur "Schleuser": Fluchthelfer, die vor allem in den 60er-Jahren ihre Freiheit, oft sogar ihr Leben riskierten, um Verwandten, Freunden oder Bekannten zu einem Leben im freien Westen zu verhelfen. Schleuser nennt man heute die tatsächlich kriminellen Banden, die Bürgerkriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge aus dem Nahen Osten oder Afrika oft auf gefährlich überladenen Kähnen und maroden Schiffen über das Mittelmeer an Europas offene Grenzen zu bringen versprechen.
Flüchtlinge waren willkommen
"Eine Gleichsetzung von Fluchthelfern durch die Berliner Mauer und Schleppern und Schleusern von heute verbietet sich", betont Veigel: "Allein aus der Tatsache, dass Menschen ‘illegal‘ über Grenzen gebracht werden, lässt sich keine Gemeinsamkeit konstruieren." Der wichtigste Unterschied zwischen damaligen Fluchthelfern und heutigen Schleuserbanden ist, dass im Kalten Krieg Menschen aus einem Land herausgebracht wurden, das mit ungeheurem Aufwand an Menschen sowie Material die Grenzen sicherte; im Zielland, der Bundesrepublik, waren die Flüchtlinge dagegen willkommen. Die Schlepper des 21. Jahrhunderts dagegen ermöglichen Menschen das Verlassen von Ländern, aus denen sie gern herausdürfen. Illegal wird es beim Hineinschleusen in Länder, in die sie nicht dürfen.