Die ÖVP steht erneut im Zentrum einer politisch brisanten Debatte: Die Änderung des Geschlechtsbegriffs im Rahmen der Dienstrechtsnovelle 2024 hat nicht nur für Empörung gesorgt, sondern auch die Glaubwürdigkeit der ÖVP in Frage gestellt. Der Vorwurf: Die Partei verabschiedet sich nicht nur vom biologischen Geschlechtsbegriff, sondern versucht nun, ihre Verantwortung durch fadenscheinige Erklärungen abzuschütteln. Hier ist eine Chronologie des Versagens der ÖVP in der Causa „Geschlechterdefinition“.
12. September: Gesetzesentwurf mit umstrittenem Absatz
Bereits vor dem am 12. September 2024 stattgefundenen Budgetausschuss verschickt die ÖVP den Entwurf zur Dienstrechtsnovelle. In diesem Entwurf findet sich der umstrittene neue Absatz des §2 im Bundes-Gleichbehandlungsgesetz. Dieser Absatz definiert das Geschlecht nicht mehr nur biologisch, sondern führt auch die Konzepte der „Geschlechtsidentität“, des „Geschlechtsausdrucks“ und der „Geschlechterrolle“ ein. Die zugehörigen Erläuterungen betonen, dass die innere Geschlechtsidentität („psychisches Geschlecht“) nicht dem biologischen Geschlecht entsprechen müsse und basierend auf dem psychischen Empfinden festgelegt werde.
Der Entwurf stellt klar, dass der Geschlechtsausdruck eine individuelle Manifestation der persönlichen Geschlechtsidentität ist, die von Dritten wahrgenommen wird. Der Begriff der „Geschlechterrolle“ wird im Kontext des sozialen Geschlechts weiter definiert. Besonders brisant: Diese Definition greift tief in die gesellschaftlichen Normen ein, indem sie die herkömmlichen Vorstellungen von Mann- und Frausein aufbricht und neue Kriterien einführt.
Budgetausschuss am 12. September: Beschluss mit ÖVP-Stimmen
Am 12. September wird der im Wortlaut unveränderte Antrag im Budgetausschuss eingebracht – federführend durch die ÖVP-Abgeordnete Mag. Romana Deckenbacher und ihre Kollegin Mag. Eva Blimlinger von den Grünen. Ohne größere Debatte oder Widerstand von Seiten der ÖVP wird der Antrag mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ und Grünen beschlossen. Dies geschieht zu einem Zeitpunkt, als die umstrittene Definition des Geschlechts bereits fester Bestandteil des Gesetzestextes ist.
18. September: Nationalrat beschließt Gesetz endgültig
Am 18. September steht der Antrag im Nationalrat zur Debatte und wird dort mit den Stimmen der Regierungsparteien ÖVP, SPÖ und Grüne endgültig beschlossen. Auch hier gibt es keine Hinweise darauf, dass die ÖVP mit dieser neuen Definition des Geschlechts Probleme gehabt hätte. Die Abstimmung erfolgt reibungslos und das Gesetz wird verabschiedet.
19. September: ÖVP behauptet plötzlich „Irrtum“
Bereits am Tag nach der Abstimmung versucht die ÖVP, den politischen Schaden zu begrenzen. Die Partei behauptet plötzlich, sie habe „irrtümlich“ zugestimmt und wolle die Entscheidung bei der konstituierenden Sitzung des neuen Nationalrates am 24. Oktober rückgängig machen. Doch dieses Argument stößt auf harsche Kritik und wird als unglaubwürdig abgetan.
Verfahrenstechnisch wäre eine Korrektur in dieser Form nicht einmal möglich, unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen im neu gewählten Nationalrat. Die Aussage der ÖVP wirkt daher wie ein verzweifelter Versuch, die Wählerschaft zu beschwichtigen – eine Wählertäuschung, wie Kritiker meinen.
Was die ÖVP wirklich tun könnte
Die einzige realistische Möglichkeit, das Gesetz zu stoppen, besteht am 2. Oktober im Bundesrat. Dort könnte die ÖVP gegen das Gesetz stimmen und so verhindern, dass es in Kraft tritt. Alles andere – insbesondere die vorgeschlagene Änderung nach der Nationalratswahl – wäre nichts anderes als ein Versuch, den Fehler zu verschleiern und die Wähler hinters Licht zu führen.
Pressekonferenz der FPÖ: Klartext von Dagmar Belakowitsch
In einer Pressekonferenz am Freitag ging die FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch mit der ÖVP scharf ins Gericht. Sie machte deutlich, dass die ÖVP nicht aus Versehen für das Gesetz gestimmt habe, sondern ganz bewusst. Belakowitsch betonte, dass die FPÖ stets gegen die Aufweichung des biologischen Geschlechtsbegriffs gestimmt habe und dass die ÖVP nun versuche, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Ihre vollständige Pressekonferenz ist auf YouTube nachzuhören:
Fazit: Die ÖVP in der Glaubwürdigkeitskrise
Die Chronologie der Ereignisse zeigt deutlich, dass die ÖVP nicht versehentlich, sondern bewusst für die Aufweichung des biologischen Geschlechtsbegriffs gestimmt hat. Die Behauptung, es handle sich um einen „Irrtum“, ist schlichtweg nicht haltbar. Wenn die ÖVP tatsächlich gegen diese neue Definition vorgehen will, hat sie am 2. Oktober im Bundesrat die letzte Chance dazu. Alles andere wäre ein weiterer Versuch, die Wähler zu täuschen und die Verantwortung zu verschleiern.
Es bleibt abzuwarten, ob die ÖVP den Mut aufbringt, ihren Fehler einzugestehen und im Bundesrat gegen das Gesetz zu stimmen – oder ob sie weiterhin versucht, sich durch faule Ausreden aus der Verantwortung zu ziehen.